Landleben
(errötend kam sie danach aus dem Badezimmer),
konnte er ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Er konnte
Phyllis ohnehin nie Vorwürfe machen, und vielleicht war
das ein Defekt, ein Manko in ihrer Beziehung. Sie war ein
Jahr älter, und er vertraute darauf, dass sie Recht hatte; er
vergaß nie die ersten ehrfurchtsvollen Blicke auf sie – in
den Korridoren des MIT mit seinem betriebsamen Laby-
rinth von nummerierten Gebäuden, von einer Menge in
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Mengen. Wie unerreichbar war sie ihm erschienen! Schon
die Vorstellung, mit ihr zu sprechen, sich in die Sphäre ih-
rer Aufmerksamkeit u
z drängen, war ihm wie Blasphemie
erschienen.
In der Flitterwoche auf Cape Cod waren sie am Strand
in Richtung Provincetown gegangen, einem Strand, der zu
Phyllis’ Kindheitssommern gehörte, und obwohl es noch zu
kühl für Badeanzüge war, hatte sie an einer stillen flachen
Stelle die Schuhe ausgezogen und war ins Wasser gewatet,
und ihr geraffter Rock hatte die Oberschenkel zur Hälfte
und die Rundung und Verjüngung ihrer langen weißen Wa-
den zur Gänze freigegeben. Ein paar junge männliche Spa-
ziergänger, die aus südlicher Richtung von Provincetown
kamen, waren stehen geblieben und hatten gestarrt. Es
waren kräftige, laute junge Männer, und es kam Owen gar
nicht in den Sinn, dass sie homosexuell sein könnten. Er
war überzeugt, dass sie seine Frau wölken, sie wollten sie
ergreifen und vergewaltigen, hier, an dem leeren Strand.
Mit der Heftigkeit eines Schlages aus dem Hinterhalt er-
kannte er seine Unfähigkeit, Phyllis zu beschützen – sei-
nen behüteten Schatz, seine unschuldige Exhibitionistin,
seine ehemalige Jungfrau am Meer. Er war ein erbärmli-
cher Bräutigam. Der dunstige Himmel war hoch und gna-
denlos. Hinter ihrem Kopf und dem sandfarbenen Haar,
jetzt arglos gesenkt in der Betrachtung von Muscheln und
Krebslöchern, die im Schaum der ablaufenden Welle zum
Vorschein kamen, war nur eisiger Ozean und Portugal.
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VII Unterwegs nach Middle Falls
Sein letzter Traum vor dem Aufwachen handelt von ei-
ner Party, einer Party damals in Middle Falls, obwohl sie
in einem Wolkenkratzer stattzufinden scheint und den
Glanz und die grellen Farben einer Party in einem Film
hat, einem Film der fünfziger Jahre oder einem heutigen
Retro-Film über die fünfziger Jahre, in dem die Frauen zu
aufgedonnert sind, in Pastellfarben und weit schwingen-
den Röcken, mit in der Taille eng gerafftem Taft und starr
gewelltem Haar. Im Traum bemerkt er nach und nach, dass
die beiden weiblichen Gäste, mit denen er spricht – die
eine sitzt neben ihm, die andere steht –, in bemaltes Por-
zellan gekleidet sind, steife Panzer mit glänzenden mo-
dellierten Rändern, als wären sie Figurinen aus dem acht-
zehnten Jahrhundert. Wenn Owen Bilder von Copley oder
Gainsborough oder von Ingres betrachtet, kann er sich in
den Falten der Seide verlieren, in dem halbsteifen Fall und
dem Bauschen des Stoffes, in den hell hervorgehobenen
Partien und den Falten, vom Pinsel des Malers so leiden-
schaftlich wiedergegeben, nicht weit von den mit Rouge
bedeckten gleichgültigen Gesichtern; diese Partykleider
sind genau so, starre Keramik, doch die Arme der Frauen
wirken weich und lebendig, sie gestikulieren spielerisch,
und die Stimmen und die Mimik sind lebhaft und anmu-
tig, lassen in ihren Bewegungen keinerlei Unbehagen oder
Behinderung erkennen. Owen, neiderfüllt, weil er, wie er
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meint, vergleichsweise schlecht gekleidet ist, steht plötz-
lich vor dem Wandschrank des Gastgebers (wer immer das
ist), in dem polierte Schuhe und Tweedjacketts aufgereiht
sind, und sucht nach einem Porzellananzug, den er anzie-
hen kann. Er wird bei seiner Suche durch Lärm von der
Party her abgelenkt: Ein älterer Gast ist ohnmächtig ge-
worden, ein Kranz schlafender Hunde umgibt seinen Kopf,
und ein Fuchs scheint im Haus frei umherzulaufen. Eve,
Owens jüngste Tochter, beschützt unter Tränen das Tier.
Dann ist dies also sein Haus, das große, mit Holzschindeln
verkleidete Haus auf der Partridgeberrv Road in Middle
Falls, Connecticut. Also ist er der geheimnisvolle Gastge-
ber, der zu seine
r Schande unpassend gekleidet ist, ohne
Porzellananzug. Er wacht auf.
Julia ist nicht im Bett, und die warme Kuhle, die sie hin-
terlässt, kühlt ab. Er empfindet, jeden Tag mit größerem
Gewicht, wie unnatürlich es ist, das Bett zu verlassen für
das gleiche langweilige
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