Landleben
ersten Be-
gegnung mit Phyllis, bevor die Hochzeit stattgefunden
hatte, tauchten aus Phyllis’ Koffer einige Socken und Un-
terhosen von Owen auf, die Phyllis, in argloser Inbesitznah-
me, in der Maytag ihrer Eltern gewaschen hatte, was bei
ihrer zukünftigen Schwiegermutter einen Anfall von mür-
rischer Laune auslöste, die auch mit den Jahren nie ganz
abflaute, obwohl Enkelkinder und Weihnachtsgeschen-
ke und schließlich stetige finanzielle Unterstützung aus
der Ehe ihres Sohnes zu ihr gelangten. Obwohl sie selbst
nicht besonders religiös oder konventionell war, nahm sie
Anstoß an Phyllis’ liberalen Ansichten, dem selbstbewusst
lässigen Stil ihrer Kleidung und an ihrem erhabenen Man-
gel an Disziplin gegenüber den Kindern. In dem beengten
kleinen Haus prallten die gegensätzlichen Energieströme
der zwei Frauen aufeinander, und die nur halb willkom-
menen Besucher suchten in Autoexkursionen und Spielen
im Garten die Flucht. Der Widerstand seiner Mutter gegen
Phyllis, die anders als Elsie das Gezerre nicht intuitiv er-
fasste, stärkte Owens Loyalität während der kurzen Dauer
ihrer Besuche, gab jedoch auf einer tieferen Ebene, als sie
wieder in Middle Falls waren, seiner bevorstehenden Un-
treue den Segen.
In der Zeit, als Lyndon Johnson Präsident wurde,
schmolzen alte Vorstellungen von Anstand und Mäßigung
dahin. Johnson befahl die Bombardierung Nordvietnams,
nachdem ein Zerstörer der US-Marine im Golf von Tong-
king angegriffen worden war. In Philadelphia wurden
über zweihundert Menschen in Unruhen und Protesten
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Schwarzer gegen das brutale Vorgehen der Polizei verletzt.
Malcolm X nannte den amerikanischen Traum einen ame-
rikanischen Albtraum. Zu den Hits unter den Singles des
Jahres gehörten Louis Armstrongs «Hello, Dolly!», Roy
Orbisons «Pretty Woman», sowie «Baby Love» von den
Supremes, «A Hard Day’s Night» von den Beatles und
Dean Martins «Everybody Loves Somebody». Owen und
Faye trafen sich bei zahlreichen Zusammenkünften in der
Stadt, formellen und zwanglosen, kleinen und großen, und
legten ihre ganze Spannung in manierliche kurze Gesprä-
che und leichte Berührungen, die sie für so diskret hiel-
ten, dass niemand sie bemerkte. Und wenn doch jemand
sie bemerkte, dann war das in Ordnung, denn in diesem
gesellschaftlichen Rahmen war es zu erwarten, dass man-
che Männer und Frauen besonderen Gefallen aneinander
fanden. Einander zu mögen und gemocht zu werden war,
was alle brauchten, um den alltäglichen Trott zu bewäl-
tigen: Kinder großziehen, den Haushalt führen, den Le-
bensunterhalt verdienen, Stunde um Stunde. Es war das,
woran sie sich hielten, anstelle von dem, was die Jüngeren
hatten – provozierende Vogelscheuchen-Kleider, Drogen,
Pofbuden, das Schlafen, wo und in wessen Arme man ge-
rade gesunken war. Bis zu einem gewissen Grad billigten
sogar Jock und Phyllis das, was sie sehen und ahnen konn-
ten, denn einen Ehepartner zu haben, der begehrt wurde,
machte einen selbst begehrenswerter, steigerte den Wert
dessen, was man an den Tisch allgemeiner Bekanntschaf-
ten brachte.
Auf einer Party bei den Morrisseys, wo das voll gestopf-
te, künstlerisch legere Interieur des Illustrators latenten
Leichtsinn förderte, sagte Faye zu Owen zwischen ihren
Zähnen hindurch, als könnte man sonst, was sie sagte, von
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ihren Lippen lesen: «Mein Psychiater möchte, dass ich dir
eine Frage stelle.»
«Im Ernst? Was denn?»
«Rate mal.»
Seine Gedanken flatterten gehorsam umher – verdutzt
von der Neuigkeit, dass sie zu einem Psychiater ging – , fan-
den aber keinen Anhaltspunkt. «Ich passe.»
«Es ist so offenkundig, Owen. Er möchte, dass ich dich
frage, warum du nicht mit mir schlafen willst.»
Er hatte das e
G fühl, dass sein ga z
n er Körper errötete,
wie in heißes Wasser getaucht. «Ich will ja. Aber –»
«Aber da ist deine reizende Frau.» Fayes kleines Gesicht
mit seinen großen Zügen wirkte raubtierhaft, als sie bei
den letzten Worten die Lippen zurückzog.
«Ich wollte sagen: Aber wie stellen wir es an?»
Sie öffnete den Mund zu einem Lachen, aber in ihrer
Anspannung brachte sie keinen Laut hervor. Auch sie spür-
te das heiße Wasser. «Dabei bist du so klug, höre ich, und
kannst
das Innere von Computern ordnen. Weißt du, wie
man das Telefon benutzt, oder ist das zu simpel?»
Doch es war keineswegs simpel: Sein Telefon bei E-O
Data, wo sein Schreibtisch nur
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