Landleben
mit neununddreißig gestorben, an Tuberkulose. Er
hat Notizbücher und Papiere voller Ideen hinterlassen, die
er nicht mehr veröffentlichen konnte. Das ganze Univer-
sum, verstehst du, ist eine Art Riemann’scher Fläche, aus
Sicht der allgemeinen Relativität.»
Der Ausdruck ihrer Augen hatte etwas Abwesendes,
Stählernes, womit sie die Gedanken an diejenigen bewach-
te, die sie wahrhaftig und intuitiv liebte. Eine Gruppe, eine
Menge, von der Owen ausgeschlossen war, auch wenn Bio-
logie und Gesellschaft sie zusammentrieben. Phyllis würde,
wenn sie und Owen durch die dornenreiche gewöhnliche
Welt reisten, immer Erinnerungen an ein Arkadien bewah-
ren, das von einer exklusiven Truppe erhabener Geister be-
völkert war, ob Mathematiker oder Dichter, Spenser oder
Cantor, Hubert oder Keats, denen Cambridge im Innersten
geweiht war. Solch eine Hingabe barg keine Garantie für
die schöpferischen Stürme, die zu posthumen Ehren führ-
ten, verfluchte aber alles zahmere Wetter als zweitrangig
und machte die wirkliche Welt zu einer ziemlich ernüch-
ternden, substanzlosen Stätte des Exils.
Während sie mit Riemann ihre Rendezvous inmitten
sich krümmender Flächen bis in die »te Dimension hat-
te, rackerte sich Owen mit den praktischen Gegenstän-
den ab, die zum Ausbildungsgang der Elektrotechnik ge-
hörten – Netzanalyse, nichtlinearer Scheinwiderstand als
Triebmodulatoren, Breitbandverstärker, photoelektrische
Transducer, Isolatoren, Transistoren, Mikrowellen-Trio-
den, Bremsfeldklystronen, Energieverhältnisse in einem
Elektronenstrahl bei Kleinsignal-Erregung, und dazu sol-
che Formeln, die unsichtbare Elektronen sichtbar mach-
ten, hörbar und konvertierbar zu nützlicher Arbeit. Ein
Fortgeschrittenenkurs führte Owen für eine Woche zu Raytheon in Waltham, ein anderer brachte wiederholte
Besuche im Harvard Computation Laboratory mit sich, wo
Mark 1 in seiner gebieterischen Masse und seiner über-
hitzten Rückständigkeit herrschte. Während in Korea die
Polizeiaktion im kalten, blutigen Schlamm ins Stocken
geriet, blieben Owen und seine Studienkollegen von der
Einberufung zum Militär verschont, wenn sie einen Test
der Regierung bestanden, bei dem nur Kretins durchfallen
konnten: In dem Vorlesungssaal mit der Nummer 10-250
präsentierten sie auf ein Signal hin ihte Bleistifte wie klei-
ne Ersatzgewehre. Gehirne gewannen Kriege, IBM stellte
Arbeitskräfte ein in einem massiven Vorstoß, dem trium-
phierenden UNIVAC von Remington Rand etwas entge-
genzusetzen. In der Wirtschaft wie auch im industriell-mi-
litärischen Bereich zeichnete sich ein Markt für Computer
ab. Inmitten dieser Schwindel erregenden Zukunftsver-
sprechen und während technische Durchbrüche sich
schneller einstellten, als die Professoren für Elektrotech-
nik sie lehren konnten, fingen Owens überprogrammier-
te Neuronen vor Kopfmüdigkeit zu summen an. So war
es wie eine Botschaft, die aus einem Schleier statischen
Knisterns zu ihm drang, als Phyllis eine Woche nach ihrem
Examen (ihre Abschlussarbeit, in der sie eine Nuance der
Riemann’schen Topologie in Frage stellte, war wegen ihrer
Originalität und Stringenz besonders erwähnt worden) an
einem Zweiertisch in dem winzigen verräucherten indi-
schen Restaurant, unmittelbar bevor er zu einem weiteren
Sommer der Arbeit mit dem Vermessungstrupp und der
Erforschung von Elsies Reaktionen gen Süden aufbrach,
zu ihm sagte: «Meine Eltern haben mich gelöchert, sie
wollten wissen, was ich jetzt vorhabe, und da habe ich ih-
nen gesagt, ich sei mit dir verlobt.»
«Wirklich?» Sein Gesicht wurde heiß, er war plötzlich
mitten ins Leben getaucht, sein einziges Leben.
«Ja, Liebling, sind wir es nicht? Du redest doch andau-
ernd davon.» Ihre Augen, verschattet von nervöser Heraus-
forderung, suchten seine.
Um sie von seiner Hingabe zu überzeugen, hatte er sich
oft laut ihr gemeinsames Eheleben ausgemalt. Doch er er-
innerte sich nicht genau, ob er ihr je einen Antrag gemacht
hatte; er hatte befürchtet, er würde abgewiesen werden
und seine mühsam erkämpften Fortschritte in ihr verzau-
bertes Terrain wären vergeblich gewesen.
«Ja, ich glaube, wir sind es», gab er zu. «Das ist ja aufre-
gend.»
Was würde seine Mutter sagen? Was Elsie? Oh, es ge-
schah ihnen recht. Die Natur ist Fluss und Wandlung, hat-
te das MIT ihn gelehrt.
VI Kleinstadt-Sex 3
In seinem zweiten Studienjahr war Owen ihren
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