Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
Toskana, fünfzehn Minuten Fahrzeit, auf ein Glas Wein einladen.
Insgeheim verspreche ich allen Pflanzen, dass ich sie im nächsten Winter ALLE dick vermumme und sie ALLE überleben werden.
XXVII
Der Sommer naht . Mara ist wieder da.
Zuverlässig Anfang Januar packt die gebürtige Schweizerin ihren Rucksack mit IPad und Schlafsack und macht sich für drei Monate auf nach Indien und Burma, Nepal oder in den Oman. Am liebsten bereist sie die Länder in Bussen und Zügen und übernachtet in Jugendherbergen, um andere Weltenbummler zu treffen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Hätte sie nicht in diesem Jahr auf der Rückreise aus dem Fernen Osten einen Zwischenstopp in Istanbul gemacht und ihre in Europa verstreute Familie dorthin eingeladen - um ihren 80. Geburtstag zu feiern.
Es ist nicht so, dass Mara topfit wäre. Die Knochen schmerzen, das Gehen fällt schwer. Das Gesicht ist von tiefen Falten durchfurcht. Doch um ihre Energie, ihre Neugierde und ihre Willenskraft können sie ihre Enkel beneiden.
Empört erzählt sie, dass man ihr im Oman erst keinen Mietwagen geben wollte, sie sei zu alt. Schließlich aber kapitulierte auch diese Männergesellschaft vor der „eisernen Lady“.
Unsere Grundstücke grenzen im Südosten aneinander. Nach fünfzehnminütiger Wanderung quer durch den Wald oder dreißig Minuten auf Umwegen im Auto erreichen wir ihre drei Häuschen. Im Juli regnet es dort Aprikosen. Wir müssen nur den knorrigen Baum leicht schütteln und schon füllen wir Kiste um Kiste.
Wir sitzen gerne und oft auf ihrer kleinen Terrasse, trinken ihr Quellwasser oder ein Glas Weißwein, essen ihre selbst eingelegten Oliven und einen herrlichen sardischen Pecorino.
Vor mehr als dreißig Jahren drehte Mara ihr Leben um 180 Grad. Damals sah ihre Bilanz langweilig aus. Kein passender Mann, die beiden Kinder groß und das Münchner Schickimicki-Leben fad. Ein neues Leben musste her. Sie kaufte sich einen alten VW-Bus und einen jungen Hund und fuhr los. Drei Monate tingelte sie durch die Toskana, bis sie diesen Fleck entdeckte.
Drei weitere Monate dauerte es, bis die erste Ruine bewohnbar war. So lange hauste sie weiter mit Hund im Bus. Ihr eigenes Haus hat zwei Zimmer - eines unten, eines oben - und im Keller ein Bad, zu erreichen über eine schwindelerregende Wendeltreppe. Das untere Zimmer ist auf knapp zwanzig Quadratmetern zugleich Küche, Arbeits-, Wohn- und Esszimmer.
Und urgemütlich. Das Schlafzimmer darüber ist über eine stabile Leiter zu erreichen.
Die beiden anderen Häuschen hat sie über Jahre für wenig Geld an Feriengäste vermietet und nun ihren Enkeln geschenkt. Die allerdings noch wenig Sinn für ein Leben haben, wo die nächste Disco 30 Kilometer entfernt liegt.
Mara aber hat ihren Platz gefunden. Es amüsiert sie, wenn sie als Köchin improvisieren muss, da der in Rotwein eingelegte Wildschweinbraten verschwunden ist. Er stand über Nacht auf dem Terrassentisch. Am nächsten Morgen lag der Deckel ordentlich neben dem Topf und der Braten war weg. Keine Rotweinspuren auf der Tischdecke, wie geht das? Wir spekulierten lange, welches geschickte Tier kräftig genug sei, um den Leckerbissen zu stehlen.
Einen menschlichen Dieb, der gerade ihre Haustür aufhebeln wollte, vertrieb sie neulich, aus dem Olivenhain kommend, mit wütendem Geschrei und erhobenen Spaten. Sie lacht bei der Erinnerung: „Er muss sich zu Tode erschrocken haben vor mir alter Vogelscheuche.“
Während ihrer letzten Reise wurde tatsächlich eingebrochen. Lakonisch meint sie: „Es gab nichts von Wert und Gott sei dank hat er kein Chaos angerichtet.“
Es ist nicht leicht, sich mit Mara zu verabreden. Mal bummelt sie allein durch Apulien oder Sizilien, mal muss sie zu einem Paolo Conte-Konzert in den Norden der Toskana oder zu einem Jazz-Festival nach Umbrien reisen. Hat sie einen Zahnarzttermin in München, düst sie mit ihrem Auto schnell mal dorthin. Als die Behandlung sich voriges Jahr hinzog, flog sie geschwind Last Minute nach Lissabon, um die Wartezeit bis zum nächsten Termin zu überbrücken.
Ist sie zuhause, ist sie auch wieder nicht da. Sie ist am Meer, sie ist in warmen Thermen, sie ist eingeladen und sie ist eigentlich bei jedem Konzert in weiter Umgebung.
Jetzt, zurück aus Indien, erzählt sie von Kalkutta. Ihr kleiner Bruder, erst 78 Jahre alt, hatte sein Leben als Bankmanager in
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