Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
Tagen von der Außenwelt ausgeschlossen.
Aber wir sind nicht mehr so allein. Gestern Abend stand ein großer Hund, ein schneeweißer Maremmano, vor der Tür. Keine Ahnung, woher er kommt und wem er gehört. Er suchte wohl Gesellschaft. Immerhin wissen wir bald, dass er Leberwurstbrote mag und uns als Hütehund auch nachts nicht aus den Augen lassen möchte. Jeder Versuch, ihn zu bitten, im Erdgeschoss zu bleiben, schlug fehl. Sowohl auf deutsch als auch auf italienisch. Ihn ins Badezimmer zu sperren, hatte ein jämmerliches und vor allem lautes Jaulen zur Folge. Also schlief er auf der Couch im Schlafzimmer. Den Bezug hat er mit seinen Krallen so lange zurecht gekratzt, bis er die Unterlage angenehm rau fand. Na ja, so einen Bezug kann man ja bei Ikea neu kaufen.
Die Vorräte werden knapp, zumal wir ja nun zu dritt sind. Wir schultern also unsere Rucksäcke, versinken immer wieder hüfthoch in den Schneewehen und erreichen nach einer Stunde das Dorf. Dort werden wir wie Helden empfangen. Zumindest sind die Leute sehr nett. Ich glaube, insgeheim denken sie: Das sind die bekloppten Deutschen, die auch im Winter im Wald leben.
Da haben sie selbst einst für ein komfortables Leben im Dorf die unwirtlichen Katen aufgegeben und zu Ruinen verfallen lassen und dann kommen diese tedeschi, diese Deutschen. Sie kaufen für teures Geld die Ruinen, die Einsamkeit und die Unbequemlichkeit. Eben Verrückte.
Aber wie gesagt, sie sind ganz lieb. Fragen sehr mitfühlend, warum wir nicht auf den Wetterbericht gehört hätten.
„Weil da von wenig Schnee und schon gar keinen Schneewehen die Rede war.“
Und warum wir das Auto nicht rechtzeitig unten an der Asphaltstraße geparkt hätten, die sei doch wunderbar geräumt? „Weil wir dachten, wir hätten einen Geländewagen, der sich - wie in der Werbung - auch durch Eis und Schnee wühlt.“
Sie haben es geschafft. Wir sind ziemlich kleinlaut. Doch eine kleine Rache ist uns vergönnt. WIR sind Opfer IHRER eingefrorenen Wasserleitungen, die malerisch an den Hauswänden verlaufen. Ihretwegen wurde die Hauptleitung abgedreht. Unsere unterirdische Waldleitung ist nicht schuld am Wassermangel.
Wohl überlegt füllen wir unsere Rucksäcke. Mehl zum Brotbacken, Butter, Nudeln, ein paar Flaschen Trinkwasser, Hundefutter. Der Ladenbesitzer schenkt uns noch zwei Orangen „für die Vitamine“. Nett.
In der Bar erfahren wir, wem der Hund gehören könne und bekommen die Telefonnummer.
Wir stapfen zurück auf unseren Berg. Er gehört uns ganz allein. Alle weit verstreuten Ferienhäuser, mit unserem sind es fünf, sind verlassen. Wer Schnee liebt, fährt in die Alpen. Wer Sturm und ein tosendes Meer sucht, reist an die Nord- oder Ostseeküste. Wieder zuhause bekommen wir den Blues. Es ist hundsgemein. Da sitzen wir im Schnee fest und schauen auf grüne Wiesen in den Ebenen. Bei strahlendem Sonnenschein. Die Schneegrenze verläuft ziemlich genau auf 300 Metern. Wir aber sitzen auf 600 Metern fest. Sollten wir doch runter ans Meer ziehen? Reihenhaus, Ziergärtchen, ohne Frost und Schnee, Vipern und Panther frei und garantiert ohne Abenteuer.
Nein, nein, nein.
Den Sonnenschein zumindest haben wir ja auch hier oben!
Der Maremmano wurde am nächsten Tag von einer freundlichen Frau abgeholt, die tapfer über die Schneewehen geklettert ist. Der Hund wollte gar nicht mit, versteckte sich unter unserem Bett. Er hatte entschieden, uns zu behüten und nicht mehr ein leerstehendes Haus, mitten im Wald, ein paar Kilometer von uns entfernt. Dort lebt er nämlich, ganz allein. Nur einmal am Tag kommt die Frau aus dem Dorf vorbei und füttert ihn. Doch seit dem Schneefall war sie nicht mehr da gewesen. Armer Kerl. So hatte er sich wohl aus Hunger und Einsamkeit auf den Weg gemacht und uns gefunden. Wen sonst? Hier gibt’s ja, wie gesagt, derzeit weit und breit keine anderen Leute.
Am nächsten Tag geschah ein kleines Wunder. Das Telefon klingelte. Nein, das ist kein Wunder, Strom haben wir ja. Aber es rief der Schneeräumdienst an, den wir seit nun mehr zwölf Tagen mit Anrufen, Faxen und Mails bombardiert hatten. Sie kämen nun, um uns zu befreien. Es solle nur jemand runter zur Asphaltstraße kommen, um ihnen den Weg zu weisen.
Da stand dann ein Traktor mit großer Schaufel und dicken Schneeketten um die riesigen Reifen. Ein Mann ging mit der Machete vorweg, um Äste, die unter der Schneelast abgebrochen waren, abzuschlagen und der Traktorfahrer schaufelte und
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