Landy, Derek - Tanith Low - Die ruchlosen Sieben
hörte sie einen Gefangenen lachen.
Sie blickte sich um. Der Sensenträger stand wieder aufrecht und zog sich die Sense aus dem Körper. Sie lief die letzten Stufen zur Tür hinauf, und dann blieb ihr die Luft weg. Sie blickte an sich hinunter auf die Sensenspitze, die aus ihrem Brustkorb ragte.
Der Sensenträger kam die Treppe herauf. Das war vielleicht ein Wurf! Fast musste sie lachen. Das Schwert fiel ihr aus den Händen. Er ergriff die Sense, ging im Kreis um sie herum und zwang sie, sich mitzudrehen. Dabei sah er sie an, als erinnerte ihr Schmerz ihn an seinen eigenen. Eine Drehung aus dem Handgelenk heraus zwang sie auf die Knie. Sie stöhnte, als er die Waffe herauszog. Ihr Körper schaltete auf Überlebensmodus.
Er hob die Sense. Tanith schaute auf, bereit zu sterben.
Doch während er sie umkreist hatte, war er auf den Flur getreten.
Sie reckte sich und schlug die Tür zu, mitten in sein vom Visier geschütztes Gesicht. Dann presste sie die Hand darauf und flüsterte: „Halte stand.“ Der schimmernde Film breitete sich in dem Moment auf der Tür aus, in dem der Sensenträger von der anderen Seite dagegenzutrommeln begann.
Tanith versuchte aufzustehen, doch ihr Körper versagte ihr den Dienst. Sie sackte in sich zusammen. Die Gefangenen beobachteten sie mit glänzenden Augen aus ihren Käfigen heraus, und als ihr Blut ihre Tunika färbte, begannen sie zu flüstern. Das Geflüster erfüllte ihren Kopf und drang langsam in jede Ritze und jeden Spalt ihres Gehirns. Die Zeit schleppte sich dahin, wurde zu einer abstrakten Größe. Zu etwas Unwirklichem. Wie lange saß sie schon hier? Wie viel Blut hatte sie noch? Wie viel konnte ihr schwaches Herz noch durch die Wunde pumpen?
Kriechend setzte sie sich in Bewegung. Die Treppe hinunter. Bald hatte sie keine Kraft mehr in den Armen, ihr Oberkörper kippte nach vorn, und sie kullerte die restlichen Stufen hinunter. Es tat nicht einmal weh. Zumindest nicht auf der Ebene, die sie spüren konnte. Dieses Flüstern blendete ihren Schmerz aus, und sie setzte sich wieder in Bewegung, kroch zu den Käfigen. Einer schwebte frei in der Luft, und darin stand ein dunkelhaariger Mann, der wie die anderen etwas flüsterte. Er streckte die Hand aus dem Käfig, hinunter zu ihr, sie hob ihre, die beiden Hände fanden sich, und er half ihr aufzustehen. Dabei flüsterte er ununterbrochen weiter. Genau wie die anderen.
Sie presste die Handfläche auf das Schloss am Käfig. Es war kein gewöhnliches Schloss. Es erforderte unbedingte Konzentration. Sie runzelte die Stirn. Biss sich auf die Lippe. Das Schloss klickte. Tanith trat zurück, blinzelte, sah, wie sich die Käfigtür öffnete, und runzelte erneut die Stirn. Hatte sie sie geöffnet? Warum hatte sie sie geöffnet? Wie kam sie dazu …
Ihre Beine gaben nach, und sie fiel, doch neben ihr stand ein Mann, und sie fiel sacht in seine Arme. Es war der Mann aus dem Käfig, der, den sie befreit hatte. Er hob sie hoch. Selbst wenn sie sich hätte wehren wollen, sie hätte es nicht gekonnt. Ihre Lebenskraft tropfte auf den Boden. Das Flüstern hatte aufgehört.
„Ich sterbe“, murmelte sie.
„Nicht wenn wir ärztliche Hilfe bekommen“, erwiderte der Mann. Er trug sie zur Tür und versuchte sie zu öffnen, doch sie bewegte sich keinen Millimeter.
Sie schüttelte den Kopf. In ihren Gedanken herrschte ein einziges Durcheinander. „Der Sensenträger“, flüsterte sie.
„Er ist weg“, beruhigte der Mann sie. „Öffne die Tür.“
Ein Teil von ihr wusste, dass dies keine gute Idee war. Ein Teil, der mit jedem schwachen Herzschlag stiller wurde. Es bereitete ihr Mühe, ihre Gedanken in eine logische Reihenfolge zu bringen. Sie streckte die Hand aus. Der Mann trat einen Schritt mit ihr vor, damit sie die gesamte Handfläche auf das Türblatt pressen konnte. Es brauchte ein paar Anläufe, doch endlich gelang es Tanith, sich lange genug zu konzentrieren. Der schimmernde Film auf der Tür verschwand. Hinter ihr begannen die Gefangenen in ihren Käfigen wieder zu lachen. Der Mann legte sie auf den Boden.
„Nein“, flüsterte sie benommen.
„Moribund“, rief einer der Gefangenen, „los, beeile dich. Lass uns raus.“
Der Mann, es war Moribund, ignorierte ihn. Er kniete sich neben Tanith.
Ihr Mund war trocken. „Du hast mich ausgetrickst“, wisperte sie.
„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Man hat mich schon vor langer Zeit hier eingesperrt. Ich muss fliehen, solange es möglich ist.“
„Lass uns
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