Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
der Natur gab. Dinge zwischen Himmel und Erde, die schlecht zu erklären waren. Begebenheiten, die von der römischen Kirche verteufelt wurden, und die im Grunde niemand ernst nahm. Wer sich dem Studium solcher Künste verschrieben hatte, hatte entweder die Inquisition am Halse oder war derart umnachtet, dass er ohnehin bald an der mangelnden Einträglichkeit seiner Wissenschaft starb.
Doch Marten war anders.
Er empfing uns mit glühenden Händen, von denen ein unnatürliches, waberndes Licht auszugehen schien. Wir hielten inne, es kam zu einigen verunsicherten und wüsten Drohungen. Lieutenant-Colonel Loubart lieferte sich mit uns ein Wortgefecht, und wir merkten zu spät, dass der Magier sorgfältig eine Reihe ausgeklügelter Symbole in die Luft gezeichnet hatte.
Träume waren grausame Tiere, Bestien mit Krallen, schärfer als jedes Schwert.
Noch einmal sah ich vor meinem geistigen Auge, wie Wilhelm und etliche meiner Begleiter zusammenknickten, wie sich grässliche Wunden – wie von Klingen geschlagen – an ihren Körpern öffneten und sie wimmernd und blutüberströmt zusammenbrachen.
Ich hatte Glück im Unglück gehabt und ein junger Soldat namens Valentin auch.
Paralysiert standen wir dem Zauberer mit dem langen, wallenden Gewand gegenüber, der uns nur hämisch beäugte. Zu seiner Rechten stand Loubart und grinste überlegen.
„Ich lasse euch am Leben, ihr deutschen Bastarde“, höhnte der französische Offizier triumphierend. „Aber richtet euren erbärmlichen Vorgesetzten persönlich aus, dass es diesmal nichts gibt – kein Preußen, kein England und schon gar kein Russland –, was die Grande Armée aufzuhalten vermag.“
Ungeachtet des Hasses, der mich wie eine rasende Krankheit befiel, schluckte ich meine Worte hinunter und verschwand unter der hämischen Barmherzigkeit des Franzosen mitsamt meinen desaströs geschlagenen Männern in die Nacht – zumindest mit denen, die Martens Attacke überlebt hatten.
Dieser einen folgten weitere bittere Stunden, als ich mich für die schlechte Leistung zu rechtfertigen hatte und schließlich degradiert von dannen zog.
Dies war der Moment, in dem ich zu dem Schluss kam, dass alle hinterlistige, böse Magie, alles grausam Arkane dieser Welt nicht zum Wohl gereichen konnte.
Möglicherweise hatten wir alle Glück, dass wenig später in Waterloo und Wavre die Herrschaft Bonapartes ein Ende fand. Möglicherweise hatte ich Glück, dass meine Degradierung im Nachhinein für nichtig erklärt wurde. Möglicherweise hatten wir Glück, dass man allerorts vernahm, Wellington und Blücher hätten sich finsterer Magie bedient, um dem strategisch scheinbar so übermächtigen französischen Heer beizukommen. Wer wusste das schon?
Fest stand nur, dass ich meinen Dienst quittierte und nach Brandenburg reiste, um fortan Jagd auf alles Bösartige, Widernatürliche zu machen.
Schweißgebadet wachte ich auf.
Die Daunen der Betten im Landsitz hatten sich vollgesogen mit den Ausdünstungen meiner Träume.
Seufzend sank ich zurück in die Kissen, immer noch kaum ahnend, wie böse das wirklich war, was wir jagten.
2.
Es war im wahrsten Sinne trostlos, und deshalb war es unbequem.
Hagen und ich waren zum Sperberhof aufgebrochen, nachdem Caspar uns nachdrücklich versichert hatte, es werde dem Grafen sicherlich missfallen, wenn wir die Gastfreundschaft auf dem Landsitz ausschlügen. Hagen war erleichtert, Salandar und ich hatten mit den Achseln gezuckt und es so akzeptiert.
Nun standen wir vor den Joppichs, zwei älteren, rustikalen, aber gutmütigen Leuten. Sie waren den Tränen nahe, als wir sie erneut in der Angelegenheit bezüglich ihres Sohnes belästigen mussten.
„Er war ein guter Mensch“, erzählte Greta Joppich schluchzend. „Er hat es nicht verdient, dass die Leute schlecht über ihn reden.“
Ihr Mann, ein großer, schlaksiger Kerl mit beinahe schneeweißem Haupthaar, dessen Gesicht im Laufe der Zeit eine wahre Anlaufstelle für Sorgenfalten geworden war, legte tröstend den Arm um sie.
„Ich bitte Sie“, meinte er. „Finden Sie den, der es war, und sorgen Sie dafür, dass ihm der Prozess gemacht wird! Meine Frau findet sonst keine Ruhe.“
Immerhin hatten die Leute Vertrauen in unsere Arbeit und waren dankbar, dass sich der Graf die Mühe machte, extra jemanden kommen zu lassen, der dem Spuk ein Ende bereiten sollte.
Ergebnislos verließen wir den Gasthof, um uns in einem stillen Winkel mit Salandar zu treffen, der vermutlich große Teile unserer
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