Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
gemeinsam auf, was hier vor sich geht, und bleiben Freunde. Der eine profitiert vom anderen, ich schließe noch nicht mal aus, dass wir dich sogar irgendwann mögen. Wenn du uns allerdings schadest, schaden wir im Gegenzug auch dir, und glaub mir, wir sind gut darin, sprechende Kater aufzuspüren, wenn wir wollen. Verstanden?“
„Ja“, murmelte der Kater, der sich seine Stellung in diesem Spiel offenbar ein wenig anders ausgemalt hatte.
„Dann können wir jetzt zum Tagesgeschäft zurückkehren?“, fragte ich in die Runde.
„Mit dem sprechenden Kater?“, fragte Hagen immer noch leicht verunsichert.
„Mit dem Kater“, bestätigte Salandar.
Hagen schluckte, sagte aber nichts.
„Wo waren wir stehengeblieben?“, fragte ich.
„Der Wagner hatte eine Affäre“, nahm Marius den Faden wieder auf. Hagen blitzte ihn ärgerlich an. Natürlich hatte der Kater gelauscht.
„Mit wem?“
„Mit einer Bauersfrau hier. Anja Schröder. Jung, attraktiv, keine Kinder“, entgegnete Salandar trocken.
„Wie soll das denn bitte funktioniert haben? Wenn sie so jung ist, war sie doch sicherlich nicht frustriert oder Ähnliches?“
„Möglicherweise doch“, ergänzte Marius. „Salandar hat Recht. Henning Schröder ist ein junger Kerl und ein Saufbold und Spieler obendrein. Wenn der spät in der Nacht wiederkommt, ist er für gewisse eheliche Pflichten ganz sicher nicht mehr zu gebrauchen. Also wird der Wagner sich von Zeit zu Zeit am Abend auf in Richtung des Schröder’schen Hofes gemacht haben.“
„Passt das zu dem Ort, an dem man die Leiche fand?“
„Zumindest in etwa. Der Fundort lag nicht weit ab vom Hof.“
„Schröder könnte also den Umtrieben seiner Frau auf die Schliche gekommen sein?“
„Denkbar“, überlegte Marius laut.
„Aber das ergibt keinen Sinn“, warf Hagen ein. „Ein eifersüchtiger und betrunkener Bauer ist sicherlich zu einigem in der Lage, aber nicht zu einem solch filigranen Mord. Ich für meinen Teil denke im Zusammenhang mit einem Bauer und einem Mord immer sofort an mit einer Schaufel zertrümmerte Schädel und Gliedmaßen oder ähnlich rustikale Schweinereien.“
„Auch wieder wahr.“
„Außerdem hätte der Bauer keinen Grund gehabt, die anderen Opfer umzubringen.“
„Es könnte aber möglicherweise jemand die Chance ergriffen und das Mordgeschehen fortgeführt haben. Nach eigenen Motiven.“
„Das sollten wir in Betracht ziehen. Aber die Frage wäre dann immer noch, wie?“
Mir wurde es zu bunt, deshalb unterbrach ich die beiden.
„Halt. Also erst einmal gehen wir doch gar nicht mehr von einem gewöhnlichen Mord aus, oder? Sondern wir vermuten einen Geist oder etwas Derartiges.“
Alle nickten.
„Schemen und andere übernatürliche Wesen haben immer ein Jagdschema.“
Wieder ein Nicken.
„Also suchen wir nicht nach dem aktiven Motiv, sondern eher nach etwas, das alle Opfer verbindet.“
„Tja“, wandte Salandar ein. „Soweit waren wir schon. Wie du sicherlich auch schon bemerkt haben wirst, haben wir nichts, das alle verbindet. Der Wagner war untreu, und der Barbier stand nicht auf Frauen. Gut, zwei Opfer mit einer Eigenart, die vielleicht nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Aber was ist mit dem englischen Poeten? Und was hat sich Madame Ellen zu Schulden kommen lassen – außer, dass sie früher mal eine Hure war?“
Vielleicht war es der Zufall, der sich bisweilen auch Schicksal nennen mochte. Vielleicht war es auch der Funke, der das Ölfass entzündet, der mich den Gedanken fassen ließ. Doch wünschte ich manchmal, es wäre nicht dazu gekommen, und wir hätten unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. So vieles wäre uns erspart geblieben ...
Denn in diesem Augenblick läutete die Mittagsglocke vom Kirchturm her, und auf einmal schien alles klar.
„Ich weiß es“, sagte ich, und drei Augenpaare sahen mich erwartungsvoll an.
3.
„Ich fasse es nicht“, stöhnte Hagen. „Das ist ein Mann Gottes.“
„Ich würde eher sagen, ein Mann der Kirche“, berichtigte Salandar süffisant.
„Haltet die Klappe und sucht weiter!“
Das Letztere war mein Vorschlag, denn ich wusste, dass wir schon zu viel Zeit vertrödelt hatten.
Als wir einmal auf die Lösung des Ganzen gekommen waren, schien es uns vollkommen logisch. Alle Opfer gingen mehr oder weniger moralisch fragwürdigen Beschäftigungen nach. Zumindest, wenn man es von einem gewissen Standpunkt aus betrachtete. Der Wagner hatte Ehebruch begangen, und das gleich mehrfach.
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