Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
anrechnete – versuchte, den völlig verwirrten Mann von seiner toten Frau wegzuholen und nach draußen zu komplimentieren. Er solle sich um seine junge Tochter kümmern, dem Mädchen von gerade einmal vierzehn Jahren sitze der Schrecken sicherlich noch viel tiefer in den Knochen.
Salandar knackte mit den Gelenken und gab mir einen Stoß. Ich verstand seinen Wink, und wir nahmen die Tote an Händen und Füßen und trugen sie schnell hinaus, woraufhin uns auch des Grafen bedauernswerter Streitpartner folgte.
Draußen herrschte ein Aufruhr der feinsten Sorte. Man schrie, bettelte, weinte. Kaum zu glauben, dass diese Leute sich kurz zuvor noch bei vormittäglich verdünntem Wein und in intellektuellem Kreise an Musik erquickt hatten.
Graf Thaddäus kam auf Salandar und mich zu. „Meine Herren, ich wünsche, dass Sie dieser Gespenstererscheinung unverzüglich ein Ende setzen! Ich bezahle Sie gut, also wagen Sie es nicht, mich zu enttäuschen!“
Damit machte er kehrt, um sich um seine Tochter zu kümmern, die bei Hagen bisher in guter Obhut gewesen zu sein schien.
„Na, schönen Dank“, murmelte Salandar, während er sich die Holzsplitter vom Gewand wischte. „Das kann ja heiter werden ...“
3.
„Ich hasse Geister!“, polterte Salandar. Ärgerlich schlug er das Grimoire zu, in dem er seit Jahren Aufzeichnung über Aufzeichnung gesammelt hatte.
„Ich hasse Geister!“, wiederholte er grimmig. „Weißt du, wie schön mir mittlerweile die Stille eines Todes vorkommt, der keine Narbe auf der verstorbenen Seele hinterlässt? Wie schön muss es im Krieg gewesen sein? Jeder wusste, dass er sterben konnte. Er wurde fürs Sterben bezahlt. Quasi paradiesische Zustände, wenn du so willst.“
Dass er den Krieg erwähnte, war mir unangenehm.
„Jetzt mach mal halblang!“, sagte ich offenbar nicht nachdrücklich genug.
„Was heißt das?“
Salandar funkelte.
„Eine Frau ist tot. Ja, gut, es war eine Frau der verhassten und snobistischen Oberschicht, aber immerhin noch Mensch genug, um zu sterben. Von einem Geist erdrosselt, von dem wir weder wissen, wer er ist, geschweige denn, wer er war, noch, wo sich sein Grab befindet oder welche Umstände ihn erweckt haben. Das Einzige, das wir wissen, ist, dass es sich nicht um denselben Geist handelt, der die anderen Morde zu verantworten hat. Denn der hat seine Opfer nachweislich nicht mit einer Saite oder einem Draht erdrosselt. Stattdessen stecken wir hier fest unter der tyrannischen Bitte eines Grafen. Wir sind in der Mitte vom Nirgendwo, irgendwo am Ende der Welt, und jagen Erscheinungen, für die man uns hasst, als wären wir Schuld an ihnen.“
„Na ja, für den Bauern scheint es logisch“, kam es aus dem Ohrensessel. „Morde, Geist und euer Auftauchen fallen in denselben Zeitraum. Zumindest so in etwa.“
Salandar warf mit einer hölzernen Bücherstütze nach dem Sessel, von dem ein braungetigerter Kater in Windeseile aufsprang und sich hinter der Lehne in Sicherheit brachte.
„Verpennter Kater“, schalt Salandar. „Wo warst du?“
„Zuhause vor dem Kamin“, kam die unsichere Antwort von der Rückseite des Sessels.
Ich fasste Salandar am Arm, als der nach der zweiten Bücherstütze greifen wollte. „Lass ihn!“
„Danke“, rief Marius hinter dem Sessel hervor.
Salandar schnaubte, und für eine Weile waren das stürmische Toben des Herbststurmes draußen und das Flackern des Kamins drinnen die einzigen Geräuschquellen, während sich das Gemüt meines bulligen Freundes langsam wieder auf das Normalmaß abkühlte.
Dann klangen von Ferne die leisen, harmonischen Melodien einer Violine durch das Anwesen. Ich wusste, wer die Grafentochter gerade dazu ermunterte, wieder zu spielen, trotz des erschreckenden Vorfalls mit der Geigensaite als Mordinstrument.
„Hagen!“, donnerte Salandar, und die zweite Bücherstütze flog gegen die Tür zum Flur.
„He!“, protestierte ich.
„Ist doch wahr“, grummelte Salandar. Er schlurfte ein paar Schritte und ließ sich in den Ohrensessel fallen, in den Marius sich noch nicht wieder zu legen gewagt hatte.
„Unser junger Tölpel sollte sich lieber Gedanken machen, wie wir hier vorwärts kommen, anstatt sich charmant um das Wohl der kleinen Anna zu kümmern.“
„Erstens“, wandte ich ein, „ist Anna nicht klein, und zweitens kann ich Hagens verliebte Augen im Moment nicht ertragen. Er verzehrt sich ja förmlich nach der Tochter unseres Gastgebers, und solange der Graf ihn lässt ...“
„Was dann?
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