Lange Zähne
hob ihren knochigen Kopf
und beäugte Tommy.
»Ich weiß, wie ihr euch fühlt. Wie
es ist, immer darauf zu warten, daß euch jemand verspeist. Denkt ihr, ich wüßte
nicht, wie man sich da fühlt?«
Als er ihnen nicht länger ins Auge
sehen konnte, trug er die Schildkröten ins Badezimmer, dann kehrte er ins
Wohnzimmer zurück und versuchte noch ein paar Kapitel von Der Fürst der
Finsternis zu lesen.
»Das stimmt nicht«, erklärte er
Peary. »Hier steht, Vampire hätten keinen Sex mehr, nachdem sie sich verwandelt
haben. Natürlich geht es nur um männliche Vampire. Aber was ist, wenn sie es
nur vortäuscht? Sie könnte frigide sein, bis auf die Momente, wenn sie mein
Blut trinkt.«
Er steigerte sich gerade in ein
ausgewachsenes sexuelles Minderwertigkeitsgefühl hinein - etwas, das ihm
vertraut und beinahe tröstlich war -, als das Telefon klingelte. Tommy riß den
Hörer von der Gabel.
»Hallo.«
Eine Frauenstimme, überrascht,
doch bemüht, es nicht zu zeigen, sagte: »Hallo. Könnte ich bitte Jody
sprechen?“
»Sie ist nicht hier«, erwiderte
Tommy. »Sie ist auf der Arbeit«, fügte er eilig hinzu.
»Ich habe bei ihrer Firma
angerufen, und die haben mir gesagt, daß sie ihre Stelle vor über einem Monat
aufgegeben hat.“
Ȁhm, sie hat eine neue Stelle.
Ich habe die Nummer leider nicht.«
»Nun, wer immer Sie sind«, sagte
die Frau, die nun alle Höflichkeit fahren ließ, »würden Sie ihr bitte sagen,
daß Sie noch immer eine Mutter hat. Und sagen Sie ihr, daß es ein Gebot des
Anstands ist, seine Mutter zu informieren, wenn man eine neue Telefonnummer
hat. Und sagen Sie ihr, daß ich wissen muß, was Sie für die Feiertage geplant
hat.«
»Ich sage es ihr«, erklärte Tommy.
»Sind Sie der Börsenmakler? Wie
war der Name noch... Kurt?«
»Nein, ich bin Tommy.«
»Nun, es sind nur noch zwei Wochen
bis Weihnachten, Tommy - wenn Sie dann noch aktuell sein sollten, werden wir
uns kennenlernen.«
»Ich freue mich schon darauf«,
sagte Tommy. So wie ich mich auf eine Wurzelresektion freue, dachte er im stillen.
Jodys Mom legte auf. Tommy schob
den Hörer auf die Gabel zurück und sah auf seine Uhr. Nur noch eine Stunde bis
zum Sonnenuntergang. »Sie lebt«, sagte er zu Peary, »ich bin ganz sicher. Wenn
sie ihre Mutter überlebt hat, dann kann sie alles überleben.«
Sie hörte Dampf durch Rohre
rauschen, Ratten in Papierfetzen rascheln, Spinnen Netze spinnen, die Schritte
eines schwergewichtigen Mannes und das Tappen und Hecheln von Hunden. Sie
öffnete die Augen und schaute sich um. Sie lag auf dem Rücken auf dem
Kellerboden, allein. Überall standen Pappkartons herum. Mondschein und
Geräusche drangen durch das zerbrochene Fenster herein.
Sie stand auf und stieg auf eine
Kiste, um aus dem Fenster zu sehen. Sie wurde von einem Kläffen und einem
Niesen und der knurrenden Schnauze eines glupschäugigen Hundes mit einer
Tortenbodenform auf dem Kopf begrüßt.
»Igitt!« Sie wischte sich den
Schnodder von der Wange. Der Kaiser fiel auf die Knie und griff durch das
Fenster zu ihr herein. »Um Himmels willen, ist mit Ihnen alles in Ordnung,
meine Teuerste?«
»Ja, mir geht es gut. Mir geht es
gut.«
»Haben Sie sich verletzt? Soll ich
die Polizei rufen?«
»Nein, vielen Dank. Könnten Sie
mir wohl heraushelfen?« Sie wäre ja einfach mit einem Satz durch das Fenster
gesprungen, aber vor den Augen des Kaisers war das keine gute Idee. Sie ergriff
seine Hand und ließ sich von ihm durch das Fenster ziehen.
Als sie mit beiden Füßen in der
Gasse stand, klopfte sie sich den Staub von ihrer Jeans. Bummer hatte einen
Kläffanfall. Der Kaiser hob den kleinen Hund hoch und stopfte ihn in seine
übergroße Manteltasche.
»Ich muß mich für Bummers Benehmen
entschuldigen. Es gibt eigentlich keine Entschuldigung, aber er ist das Opfer
von Inzucht. Da ich selbst zum Adel gehöre, mache ich Zugeständnisse. Wenn es
Ihnen ein Trost ist, es ist einzig Bummers Beharrlichkeit zu verdanken, daß wir
überhaupt in diese Gasse gekommen sind und Sie gefunden haben.«
»Nun, vielen Dank«, sagte Jody.
»Ich weiß nicht genau, was passiert ist.«
»Sehen Sie nach, ob Sie noch all
Ihre Wertsachen haben, meine Teuerste. Sie sind offensichtlich einem Schurken
in die Hände gefallen. Vielleicht sollten wir Ihnen ärztliche Hilfe zukommen
lassen.«
»Nein, ich bin nur ein wenig
mitgenommen. Ich muß einfach nur nach Hause.«
»Dann erlauben sie bitte mir und
meinen Mannen, Sie zu Ihrer Haustür zu
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