Langoliers
seine eigene Stimme sich in die schrillen Höhen betrogenen Zorns aufschwingt; die Stimme eines Mannes, der genau weiß, wie fatal leicht es sein würde, sein eigener Lynchmob zu werden.
Plötzlich spürte Mort, wie ihm der Schweiß im Nacken ausbrach, auf den Armen, in den dunklen Gruben seiner Achselhöhlen und im Schritt. Er sagte nichts. Er kam sich plötzlich vor wie ein Mann in einem dunklen Zimmer, das von einem Wirrwarr haarfeiner Stolperdrähte durchzogen ist, die alle mit hochexplosiven Dynamitladungen verbunden sind. Es war schwer zu glauben, dass er vor wenigen Augenblicken noch geglaubt hatte, er hätte die Situation im Griff. Seine Probleme-Amy, sein Unvermögen zu schreiben – schienen nun unbedeutende Gestalten in einer unbedeutenden Landschaft zu sein. In gewisser Weise waren sie eigentlich gar keine Probleme mehr. Er hatte jetzt nur noch ein Problem, und das war, lange genug am Leben zu bleiben, dass er zu seinem Haus zurückkehren konnte, ganz zu schweigen davon, den Sonnenuntergang zu sehen.
Er machte den Mund auf und wieder zu. Er wagte nicht, etwas zu sagen, jetzt nicht. Das Zimmer war voller Stolperdrähte.
»Das überrascht mich sehr«, wiederholte Shooter mit dieser schweren, gelassenen Stimme, die sich jetzt wie eine böse Parodie von Ruhe anhörte. »Vielleicht hat Sie sogar einmal jemand darauf angesprochen. Weiß Gott, sie hat wenig Ähnlichkeit mit den anderen.«
Mort hörte sich sagen: »Meine Frau. Ihr hat sie nicht gefallen. Sie hat gesagt, sie wäre anders als alles, was ich je vorher geschrieben hatte.«
»Wie haben Sie sie bekommen?« fragte Shooter langsam und nachdrücklich. »Das möchte ich wirklich wissen. Wie um alles in der Welt kommt ein großes Arschloch, das mit seinem Gekritzel Geld scheffelt, in ein kleines Scheißkaff in Mississippi und stiehlt meine verdammte Geschichte? Und ich wüsste auch gerne, warum – es sei denn, Sie haben alle anderen auch gestohlen, aber mit dem Wie würde ich mich vorläufig zufrieden geben.«
Die monströse Ungerechtigkeit dieser Worte brachte Morts eigene Wut zurück wie einen nicht gelöschten Durst. Einen Augenblick vergaß er, dass er hier draußen am Lake Drive mit diesem Irren aus Mississippi allein war.
»Lassen Sie das«, sagte er schroff.
»Es lassen?« fragte Shooter und sah Mort mit einer Art unbeholfenen Erstaunens an. »Lassen? Verdammt, was meinen Sie damit, es lassen?«
»Sie haben gesagt, Sie haben diese Geschichte 1982 geschrieben«, sagte Mort. »Ich glaube, ich habe meine Ende 1979 geschrieben. Ich kann mich nicht an den genauen Zeitpunkt erinnern, aber ich weiß, dass sie zum ersten Mal im Juni 1980 in einem Magazin veröffentlicht worden ist. Ich habe Sie um zwei Jahre geschlagen, Mr. Shooter, oder wie immer Sie heißen. Wenn hier jemand von einem Plagiat reden kann, dann ich.«
Mort sah nicht genau, wie sich der Mann bewegte. Eben standen sie noch neben Shooters Auto und sahen einander an; im nächsten Augenblick wurde er gegen die Fahrertür gedrückt, und Shooter hatte die Hände um seine Oberarme geklammert und presste sein Gesicht an Morts, Stirn auf Stirn. Zwischen diesen beiden Positionen war nur ein verschwommener Eindruck, zuerst gepackt und dann herumgewirbelt zu werden.
»Sie lügen«, sagte Shooter, dessen Atem ein trockener Hauch Zimt war.
»Einen Scheißdreck mache ich«, sagte Mort und warf sich gegen das erdrückende Gewicht des Mannes.
Shooter war kräftig, mit ziemlicher Sicherheit kräftiger als Mort Rainey, aber Mort war jünger, und er konnte sich gegen den alten blauen Kombi stützen. Er konnte sich aus Shooters Umklammerung befreien und diesen zwei oder drei Schritte von sich stoßen.
Jetzt zeigt er es mir, dachte Mort. Er hatte zwar seit den Du-ziehst-mich-und-ich-schubs-dich-Raufereien in der vierten Klasse nicht mehr gekämpft, musste aber zu seinem Erstaunen feststellen, dass sein Verstand klar und kühl war. Wir prügeln uns wegen dieser verfluchten blöden Geschichte. Na meinetwegen; ich habe heute sowieso nichts anderes vorgehabt.
Aber so weit kam es nicht. Shooter hob die Hände, betrachtete sie, stellte fest, dass sie zu Fäusten geballt waren … und zwang sich, sie zu Öffnen. Mort sah, welche Anstrengungen es den Mann kostete, den Mantel der Selbstbeherrschung wieder überzustreifen, und empfand eine Art Ehrfurcht. Shooter hob eine offene Handfläche zum Mund und wischte sich die Lippen damit ab – sehr langsam und sehr vorsätzlich.
»Beweisen Sie es«, sagte
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