Lanzarote
über Mazo und verbrannte alles auf seinem Wege. Sechs Tage lang schoss die Lava mit schrecken erregendem Geräusch über die Klippen ins Meer, das entlang der Küste zu kochen begann; bald trieb eine
große Menge toter Fische auf den Wellen. Am 18. Oktober riss die Erde oberhalb von Santa Catalina wiederum an drei Stellen auf und spuckte dicken Qualm, Aschenregen, Schla cke und brennende Steine. Die gewaltigen Explosionen, die diese Ereignisse begleiteten, die Verdunkelung des Himmels und das Lavagestein, das bald die Insel bedeckte, zwang die Bewohner mehr als einmal zur Flucht; sie kamen aber jedes mal in ihre Dörfer zurück, wenn diese wundersamerweise verschont geblieben waren. Bis zum 28. Oktober hielt die Vulkantätigkeit an; plötzlich sank das Vieh auf der Weide tot zu Boden, gefüllt von todbringenden Gasen, die sich am Himmel sammelten und als giftiger Regen herniederkamen. Vom 1. bis zum 10. November verseuchten Rauch und Asche die Atmosphäre und machten Mensch wie Tier das Leben fast unmöglich; dann legte sich ein erneuter Lavastrom über die dicke, noch nicht erkaltete Schicht, die das Land bereits verwüstet hatte. Am 27. November ereignete sich dasselbe wiederum. Ein Strom schoss mit solcher Gewalt ins Meer hinaus, dass sich neben der Küste eine neue, kleine Insel bildete. Am 16. Dezember änderte die Lava, die bislang stets aufs Meer zugefossen war, jäh die Richtung; sie kam über Chupadero und verwandelte den Ort in einen riesigen Glutkessel, dann verwüstete sie Vega de Uga. Am 7. Januar folgten neue Eruptionen. Feuerströme walzten sich, von dicken Rauchschwaden umhüllt, aus allen Spalten in den Berghängen. Diese Qualmwolken wurden häufg von gewal tigen Blitzen durchzuckt, die blau und rot leuchteten; ihnen folgten stets heftige Detonationen, wie bei einem Gewitter; die Inselbewohner waren entsetzt, denn sie kannten keine Gewitter. Am
21. Januar stieg ein Berg, größer als alle vor ihm, aus einem Krater auf und verschwand mit grauenerregender Explosion noch selbigen Tages wieder; die gesamte Insel erbebte dar unter und wurde von Asche und Steinen überzogen. Am 1. Februar verschlang ein neuer Lavastrom La Aldea de Rodeo. Am 20. März erschienen neue Vulkankegel; in einem jeden davon bildeten sich neue Krater und begannen sofort, Lava zu speien. Am 13. April wuchsen zwei Berge empor, wie von unsichtbaren Kräften getrieben. Am 3. Juni klafften drei gewaltige Risse auf und die Insel wurde von starken Erdbe ben erschüttert; aus jeder Öffnung des Erdbodens schlugen gigantische Flammen. Diesmal herrschte reine Panik, vor allem in Timanfaya, wo die Katastrophe ihren Anfang genommen hatte. Am 18. Juni wuchs ein neuer Kegel, der höchste bislang, über den Ruinen von Mazo, Santa Catalina und Timanfaya; an seiner Flanke öffnete sich ein Krater und spie Feuer und Asche, während aus einem anderen Berg na he Mazo dicker Rauch quoll, wie man ihn noch nie gesehen hatte. Die gesamte Westküste der Insel war mit toten Fischen bedeckt, darunter die seltensten und erstaunlichsten Arten, die kein Insulaner je gesehen hatte. In den Monaten Oktober und November ereigneten sich allerorten Eruptionen, und am 25. Dezember, einem traurigen Weihnachtsfest, wurde die gesamte Insel von den heftigsten Beben erschüttert, die man seit Beginn dieser langen Katastrophe erlebt hatte.
(Chronik des Padre Don Andres Lorenzo Curbado, Pfarrer von Yaiza)
Michel Houellebecq wurde 1958 in La Reunion geboren und lebt in Paris und in Irland. Er ist Preisträger des angesehenen Grand Prix National des Lettres. Die prominente Jury mit Julian Barnes, Philippe Sollers und Mario Vargas Llosa sprach ihm 1998 für seinen Roman Elementar teilchen den Prix Novembre zu. Von Michel Houellebecq sind 1999 auf Deutsch die Romane Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen sowie seine Essays Die Welt als Supermarkt. Interventionen erschienen. Sein Gedichtband Suche nach Glück erschien im Herbst 2000.
Hinrich Schmidt-Henkel, 1959 geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Er übersetzte aus dem Französischen, Italienischen und Norwegischen u.a. Jegor Gran, Jean Echenoz, Erik Fosnes Hansen, Louis-Ferdinand Celine, Herve Guibert, Liana Millu, Oivind Hanes.
»Deutsche Frauen muss man nehmen, wie sie sind; aber wenn man sich ihren kleinen Launen beugt, lohnt sich das meist, eigentlich sind es
nette Mädchen.«
MATERIALIEN
Inhalt
81 MAN MUSS DEN TOD ABSCHAFFEN erschienen in: Die Zeit 39/2000
91 MACHT EUCH DIE ERDE UNTERTAN
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