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Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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titelte kühn: KINDERORGIEN BEI DEN UFO-JÄGERN. D ie Sache wurde im Brüsseler Justizpalast untersucht; Radio und Fernsehen, seit der Dutroux-Affäre mit den Örtlichkeiten ver traut, schickten erfahrene Teams.
    Es kam bald heraus, dass die meisten Azraelisten, ob verhei ratet oder nicht, ein sehr freizügiges Leben führten und dass im Brüsseler Sitz der Organisation regelmäßig Orgien mit bis zu hundert Teilnehmern veranstaltet wurden. Die Kinder der Sektenmitglieder waren dabei anwesend; mal als Zuschauer, mal als Teilnehmer. In keinem Fall konnte belegt werden, dass den Kindern Gewalt oder Zwang angetan worden wäre, aber Verfüh
    rung Minderjähriger lag hier ganz eindeutig vor. Die Zeu genaussagen sprachen eine deutliche Sprache. »Wenn Papas Freunde bei uns geschlafen haben, bin ich hochgegangen, ihnen einen blasen«, berichtete Aurelie, und Nicole, 47, gab unumwunden zu, dass sie jahrelang mit ihren Söhnen, heute
    21 und 23, inzestuöse Beziehungen unterhalten hat.
    Was die Kommentatoren am meisten frappierte, war das Selbstbewusstsein der Beschuldigten. Der Pädophile ist sonst ein verschüchtertes, unterwürfges, am Boden zerstörtes We sen. Er ist selber von seinen Taten angewidert, es entsetzt ihn, dass es ihm nicht gelingt, die Triebe, die er in sich spürt, zu kontrollieren. Entweder er füchtet sich in panisches Leugnen oder er wirft sich der Buße entgegen, suhlt sich in Schuld gefühl und Reue, verlangt nach medizinischer Hilfe, stimmt dankbar der chemischen Kastration zu. Nichts von alle dem bei den Azraelisten. Nicht nur, dass sie keinerlei Reue emp fanden, nein, sie sahen sich gewissermaßen als Höhepunkt der Sittsamkeit und behaupteten, der Gesellschaft würde es sehr viel besser gehen, wenn alle die Ehrlichkeit besäßen, zu handeln wie sie. »Wir haben unseren Kindern Genuss bereitet. Wir haben sie von klein auf gelehrt, Genuss zu empfnden und anderen Genuss zu spenden. Wir haben unsere Elternrolle voll und ganz erfüllt«, so lautete mehr oder weniger Ihre gemein same Einstellung. Rudi gehörte zu den Beschuldigten. Sein Fall war zwar nicht der schwerwiegendste, aber er hatte die Sache ins Rollen gebracht. Er
    war sexueller Handlungen mit einer Minderjährigen angeklagt, einer 11-jährigen Marokkanerin namens Aicha. »Er hat mich ausgezogen und liberal geküsst, und dann hat er mich da un ten mit der Zunge gestreichelt«, berichtete Aicha den Ermitt lern. Ihre Mutter, ein ehemaliges Mitglied der Sekte, hatte die Anzeige erstattet. Nein, dachte ich, mit Marokkanerinnen hat Rudi wirklich kein Glück. Die moslemische Bevölkerung tob te gegen ihn, vor allem, da er Polizist gewesen war (natürlich hatte man ihn sofort vom Dienst suspendiert, als die Affäre begann); man musste ihm Personenschutz gewähren. »Sie hat gesagt, ich bin lieb, manchmal hat sie selber gewollt, dass ich sie da unten mit der Zunge streichle ...«, hatte er schluchzend den Ermittlern erklärt.
    Am 30. Dezember erschien Philippe Leboeuf, der nicht ange klagt war, in Brüssel und gab dort eine mit Spannung erwar tete Pressekonferenz. Die anwesenden Journalisten kamen voll und ganz auf ihre Kosten; die Wellen schlugen hoch. Azrael hieß die Handlungen seiner Adepten nicht nur gut, nein, weit mehr. Sexualität in all ihren Formen war seinen Gläubigen erlaubt, ja, geboten, ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder familiären Banden. All das war den Anakim wohlgefäl lig. „Weiß der nicht, dass er sich so ein Verbot einhandelt?«, fragte sich der Korrespondent des Figaro. Der Prophet schien bestens aufgelegt; die Scheinwerfer glitzerten in seinem grau durchwirkten Bart. Der allgemeinen Verblüffung, die er damit hervorrufen würde, be
    wusst und um die Diskussion ein bisschen anzuheizen, be zeichnete er Jesus Christus und Mohammed als Schwindler. Sich selber sah er als direkten Nachfolger Mose. »Das, wozu Sie Ihre Sektenmitglieder auffordern, klingt nun aber nicht gerade nach den Zehn Geboten«, bemerkte der Chefredakteur des Soir, die erste Unterbrechung. Azrael ergriff bereitwillig die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu erläutern. Moses hatte in der Tat Besuch der Außerirdischen, der Anakim, erhalten; aber er hatte ihre Botschaft nicht begriffen; und daraus resultierte dieser Unsinn, die Zehn Gebote. Ein gewisser Zeitverlust war die Folge gewesen. Zum Glück kam jetzt er, der erste wahrhaf te Nachfolger Mose, und korrigierte seine Botschaft.
        »Das ist ja nicht möglich, er provoziert, um sich PR zu

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