Lanze und Rose
beseitigte alles, was zwei Seelen auf der körperlich greifbaren Ebene trennte. Ich konnte nicht mehr fühlen, wie mich seine Arme umschlossen, noch sein glückliches Lachen hören oder sein spöttisches Lächeln sehen. Aber mein Herz konnte das, weil ich ihn in mir trug. Diese Erinnerungen, diese herzzerreißenden, aufwühlenden Bilder. Ich schob sie von mir, konnte sie nicht ertragen. Das war zu schmerzhaft. Ich seufzte und öffnete die Augen einen Spaltbreit. Meine Fingerknöchel hoben sich weiß von dem Tartan-Stoff ab.
Ich spürte, dass Liam hinter mir stand. Ich roch seinen Duft, in den sich die Ausdünstungen von Whisky und feuchter Wolle mischten. Das hatte mir so sehr gefehlt. Ganz sanft, wie eine Brise, strich er über mein Haar. Mein Liebster , mo rùin, ich weiß, dass du ebenso leidest wie ich. Dein Schmerz ist vielleicht sogar noch größer als
meiner, denn du trägst die entsetzliche Erinnerung an seinen Tod in dir … Aber ich kann nichts tun, um dich zu trösten.
An dem Morgen, an dem er aufgebrochen war, war Liam noch einmal auf das Schlachtfeld zurückgekehrt. Doch er hatte Ranalds Körper nicht mit nach Hause nehmen können. Die Truppen des Duke of Argyle durchkämmten die Ebene auf der Suche nach Überlebenden, um ihnen den Gnadenstoß zu geben. Zerlumpte Bauern zogen herum und beraubten die Leichen ihrer Kleider und anderer Gegenstände, die den plündernden Soldaten, die sich ihre Kriegsbeute geholt hatten, vielleicht entgangen waren. Ein Scheiterhaufen wurde errichtet. Ranald würde nicht auf der Eilean Munde ruhen. Von meinem Sohn blieben mir nur ein Barett, ein Plaid, sein Sporran und seine Waffen. Gegenstände, die, wie einem brutal klar wird, nichts weiter als Reliquien sind, sobald der Mensch, zu dem sie gehörten, nicht mehr da ist. Ich seufzte und schluchzte auf.
Eine Hand strich über meine feuchte Wange, die Liebkosung warmer, lebendiger Haut, die mir sagte: Ich bin da . Liam hatte fünf lange Tage gebraucht, um nach Carnoch zu gelangen. Er hatte mir gestanden, dass er beinahe ins Lager zurückgeritten wäre, denn er hatte sich nicht in der Lage dazu gefühlt, mir die entsetzliche Nachricht zu bringen. Die letzte Nacht hatte er in einer der Hütten auf den Sommerweiden von Black Mount verbracht, nur wenige Meilen vom Dorf entfernt. Als es Morgen wurde, hatte er immer noch gezögert.
Er war am Loch Achtriochtan ins Tal hinuntergestiegen und hatte dabei einen großen Bogen um das Dorf Achnacone geschlagen. Schließlich hatte er sich wieder auf sein Pferd geschwungen und die wenigen Meilen zurückgelegt, die ihn von mir trennten, das Herz zermartert von der Pflicht, die er erfüllen musste: einen Teil von mir zu töten. Sein Kreuz war schwer zu tragen. Doch damit war sein Martyrium noch nicht zu Ende, denn er musste dem Chief noch die Namensliste der in der Schlacht Gefallenen bringen. Und dann war da noch dieses zweite Schwert, von dem ich einen Moment lang geglaubt hatte, es gehöre Duncan; das Schwert seines Freundes Simon. Er hatte es der armen Margaret übergeben.
Oh ja! Sein Kreuz wog wirklich sehr schwer. Für mich war Liam zum Boten aus der Hölle geworden. Ich bewunderte ihn für seinen Mut, doch zugleich war ich zornig auf ihn und machte ihn unbewusst für mein Unglück und meinen Kummer verantwortlich. Und dabei litt er ebenfalls … Mit einem einzigen Blick, vielleicht mit einem einzigen Wort, hatte ich ihn an sein Kreuz geschlagen. Seine Schuldgefühle waren ihm auf dem Gesicht abzulesen. Doch ich konnte nichts dagegen tun, dazu war ich zu tief in meinem eigenen Leid versunken.
Heiß wie einen Zephir spürte ich jetzt seinen Atem im Nacken, auf der Wange, und dann auf meinem Mund. Seine Lippen schmeckten salzig, das Salz seiner Tränen. Er küsste mich zärtlich und lange. Dann kniete er vor mir nieder und zog mich an sich. Er nahm mich in die Arme, hob mich hoch und trug mich in unser Zimmer, wo er mich auf das Bett legte. War die Liebe stärker als der Tod? Ich brauchte ihn so sehr, musste mich dieser Gewissheit versichern. Zwei Monate der Einsamkeit … das Bett war leer und kalt und das Zimmer still gewesen. Er beugte sich über mich und zog mir langsam ein Kleidungsstück nach dem anderen aus, ganz behutsam, als wäre ich ein kleiner, verletzter Vogel. Liam, liebe mich … Ich brauche dich so sehr! So wie eine Blume Licht und Wasser braucht. Gott hat mich verlassen, nun verlasse du mich nicht auch noch .
Ich hatte den Eindruck, in eine unwirkliche Welt versetzt
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