Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
durchsucht.«
Cesare zuckte mit den Schultern. »Möwen stellen alles auf den Kopf, wenn sie Futter suchen. Vielleicht waren sie auch in Panik, weil sie ins Haus geraten sind und nicht mehr hinausgefunden haben.«
»Und wie, bitte schön, kommt Mehl in den ersten Stock? Wollten die Möwen einen Kuchen backen?«
Kristina biss sich auf die Unterlippe. So geladen wie Sara war, wäre es nach der Geschichte im Dogenpalast ein schlechter Zeitpunkt, auch noch zuzugeben, dass sie selbst das Mehl verstreut hatten.
»Na ja, wahrscheinlich haben die Ratten den Beutel aus der Küche zu einem Schlupfwinkel zerren wollen«, schlug Cesare vor. »Und dabei ist er aufgegangen.«
Sara seufzte, dann ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und begann, die Papiere zu sortieren. Irgendwie war es komisch, dass Cesare sich überhaupt nicht wunderte und für alles eine Erklärung hatte. Kristina beobachtete den alten Wirt von der Seite, als er in seinem Kaffee rührte. Bildete sie es sich ein oder zitterte seine Hand dabei ein wenig?
»Cesare?«, fragte sie leise. »Glaubst du eigentlich an … an Gespenster?«
Der alte Mann zuckte leicht zusammen. »Natürlich nicht«, erwiderte er dann mit einem betont amüsierten Lachen. »Obwohl ich natürlich, wie jeder Venezianer, jede Menge Schauergeschichten aus der Stadt kenne.«
»Echt? Was denn für welche?«, bohrte Jan sofort nach.
»Hm, lass mal überlegen: zum Beispiel die Geschichte über den Mörder Biasio, der heute noch in den Gassen herumspuken soll. Er wurde vor mehr als vierhundert Jahren hingerichtet. Er führte nämlich ein Wirtshaus, das für seine Fleischsoße berühmt war. Eines Tages fand ein Gast einen kleinen abgehackten Finger in seinem Essen. Und da war klar, was die geheime Zutat in seiner Soße war.«
»Iiieh!« Jan verzog das Gesicht und legte seinen Keks beiseite.
»Na lecker«, murmelte Sara.
Kristina dachte mit einem kalten Frösteln an die Gestalt, die ihr im Nebel gefolgt war. Aber ein Wirt war kein Gondoliere.
»Was bedeutet eigentlich Calegheri ?«, fragte sie leise. »Sind das auch Gespenster?«
Sara rollte genervt mit den Augen. »Hört ihr jetzt endlich mal mit diesem Geisterfimmel auf?«
»Na, ihr stellt ja schwierige Fragen!«, rief Cesare. »Der Begriff kommt mir bekannt vor, aber ich schau zur Sicherheit mal nach.« Er stand auf und kam gleich darauf mit einem in Leder gebundenen Buch zurück. Lexikon der Geschichte Venedigs prangte auf dem Einband. Cesare blätterte zum Buchstaben C. »Hier ist es: Calegheri . Stimmt, jetzt fällt es mir auch wieder ein: Das hat mit Geistergeschichten überhaupt nichts zu tun. Die Calegheri waren die deutschen Schuhmacher, die früher hier in der Nähe am Campo Santo Stefano ihre Bruderschaft hatten.«
Kristina setzte sich unwillkürlich aufrechter hin. Langsam begann das Ganze tatsächlich ein wenig Sinn zu ergeben. Der kleine Dieb hatte deutsch gesprochen! Und vielleicht stahl er aus einem bestimmten Grund gerne Schuhe? Luca hatte ja auch erzählt, dass Pippa häufig ohne Schuhe heimkam.
»Wann … war denn ›früher‹?«, fragte sie vorsichtig weiter.
Cesare blätterte um und las nach. »Im vierzehnten Jahrhundert.«
Das erklärte die altertümliche Kleidung. Aber warum nannte Nonna diese Gespenster Pestkinder? Vielleicht waren es ja Schuhmacherkinder, die an der Pest gestorben waren.
Es war wirklich total verrückt! Wenn sie zu Hause erzählte, dass sie tote Menschen sah, konnte sie sich darauf gefasst machen, dass ihre Freundinnen sie als Freak bezeichnen würden. Und vor einer Woche hätte sie selbst jeden ausgelacht, der so etwas behauptete. Aber jetzt dachte sie nur besorgt an die arme Nonna und an Pippa. Diese Wesen hatten die Kleine sicher absichtlich in den verfallenen Brunnenhof gelockt, vielleicht hatte Jans Feuerwerk Pippa sogar gerettet. Und beim Gedanken daran, dass Nonnas Sturz auch viel schlimmer hätte ausgehen können, spürte Kristina einen heißen, schmerzhaften Knoten im Bauch.
»Du bist ja ganz blass geworden. Ist dir schlecht?« Cesare klappte das Buch zu. Eine kleine Staubwolke puffte dabei in die Luft.
Kristina zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. »Alles okay. Sag mal, weißt du zufällig, wo die Familie Pezzi wohnt? Du weißt schon, die Pezzis, die Nonna nicht leiden kann?«
Cesare lächelte wissend. »Das brauchst du mir nicht zu erklären. Sie wohnen derzeit nur ein paar Straßen weiter, irgendwo bei der Calle del Pestrin . Warum?«
»Nur so. Luca Pezzi
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