Lara Adrian- 07- Gezeichnete des Schicksals
hatten. Aber im Unterschied zu ihr hatte die Gabe bei Kade und
Seth, die auch das heiße Blut ihres Vampirvaters geerbt hatten, eine düstere
Seite. Der Gedanke, dass das Muster sich bei einem weiteren Brüderpaar
wiederholen könnte, machte ihn ganz elend.
„Gut siehst du aus, Mutter. Es ist schön, dich so
glücklich zu sehen.“
„Sogar noch glücklicher, jetzt, wo du da bist. Du
wirst sehen, ich habe in deinem Quartier alles so gelassen, wie du es verlassen
hast. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht gehofft und gebetet habe,
dass ich meine beiden geliebten Söhne wieder gesund und munter hier bei mir
habe ...“
Wieder schlang sie die Arme um ihn, und Kade fühlte
sich noch schlechter, weil er ihr nun das sagen musste: „Ich ... ich weiß
nicht, wie lange ich bleibe.
Ich bin nicht zurückgekommen, um bei euch zu
bleiben, Mutter. Ich bin in Ordensangelegenheiten hier.“
Sie zog sich zurück, ihre freudige Miene fiel in
sich zusammen. „Du bleibst nicht?“
„Nur bis meine Mission erfüllt ist. Dann muss ich
nach Boston zurück. Tut mir leid, wenn du gedacht hast, dass ...“
„Du kannst nicht wieder weggehen“, murmelte sie,
und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Du gehörst hierher, Kade. Das ist dein
Zuhause. Wir sind deine Familie. Dein Leben ist hier ...“
Er schüttelte sanft den Kopf. „Mein Leben ist jetzt
beim Orden. Sie brauchen mich dort, ich habe wichtige Aufgaben. Mutter, tut mir
leid, dich zu enttäuschen.“
Sie schluchzte hinter vorgehaltener Hand und wich
einige Schritte zurück. Die plötzliche Bewegung ließ sie ein wenig schwanken,
und Kades Vater war sofort an ihrer Seite und legte ihr fürsorglich den Arm um
die Schulter. Er redete leise auf sie ein, und seine sanften, vertrauten Worte
schienen sie etwas zu beruhigen. Aber ihre Tränen und ihr Schluchzen verebbten
nicht völlig.
Kades Vater begleitete sie vorsichtig zur Tür, und
blieb nur kurz stehen, um seinen Kopf zu heben und seinem Sohn einen harten
Blick zuzuwerfen. Ihre Blicke trafen sich und kollidierten, keiner von beiden
war bereit nachzugeben.
„Du und ich sind noch nicht fertig miteinander,
Kade. Du wartest hier, bis ich mich um deine Mutter gekümmert habe.“
Er wartete wie befohlen, aber nur eine Minute lang.
In der Zeit, die er fort war, hatte er fast vergessen, wie es gewesen war, hier
zu leben. Er konnte nicht mehr unter dem Dach seines Vaters leben, genauso
wenig wie im Schatten von Seth. Es brachte ihn fast um, seiner Mutter Kummer zu
machen, aber wenn er vergessen hatte, dass er nicht hierher gehörte, dann hatte
ihn der Blick, mit dem sein Vater ihn eben beim Hinausgehen angesehen hatte,
klar und deutlich wieder daran erinnert.
„Scheiße“, zischte Kade, packte seinen Ledersack
und stürmte aus dem Arbeitszimmer.
Er ging nach draußen, weil er dachte, dass er in
der kalten Luft einen klaren Kopf bekommen würde. Doch sein Blick fiel
unwillkürlich auf die Blockhütte seines Bruders. Er wusste, dass er nicht
hineingehen sollte - er hatte kein Recht, in Seths Privatsphäre einzudringen,
aber sein Bedürfnis nach Antworten war stärker als seine Schuldgefühle. Kade
öffnete die Tür und ging hinein.
Er war nicht sicher, was er eigentlich erwartet
hatte. Ein gewisses Chaos, die wilde Unordnung eines psychisch Gestörten? Aber
Seths Quartier war wie immer tipptopp, nichts war hier fehl am Platz, alle
seine Möbel und Habseligkeiten waren ordentlich und präzise arrangiert. Auf dem
Couchtisch lag ein Philosophiebuch, eine Sammlung klassischer Musik-CDs war in
dem CD-Wechsler der Stereoanlage. Neben dem Computer auf Seths Schreibtisch lag
ein Ordner mit ausgedruckten Tabellen, an denen er offenbar für ihren Vater
gearbeitet hatte, ordentlich geschlossen unter einem Briefbeschwerer aus
Kristall.
Seth, der perfekte Sohn.
Doch je länger Kade sich hier umsah, desto mehr
beschlich ihn das Gefühl, dass die Blockhütte wie eine Inszenierung wirkte
statt wie wirklich bewohnt.
Es war alles zu ordentlich. Zu
sorgfältig arrangiert, so als wäre es absichtlich so hingelegt worden, falls
jemand schnüffeln kam, in der Annahme, dass hier etwas nicht stimmte. Oder auf
der Suche nach einem offensichtlichen Anzeichen von Täuschung, genau wie Kade
es eben tat.
Aber Kade kannte seinen Bruder besser als alle
anderen. Er war ein Teil von Seth, so wie niemand sonst. Als eineiige Zwillinge
besaßen sie eine unauflösliche Verbindung. Sie waren von Kindheit an
unzertrennlich gewesen, zwei Teile
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