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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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Fülle von Belegen für die Gleichheit des sexuellen Begehrens und Erlebens. Sie stärkte auch ein Bewußtsein für Zusammenhänge zwischen Lebensstilen und dem Austausch von Ressourcen. So zeigt sich, daß die männliche Neigung zur Promiskuität mit ihrer stärkeren ökonomischen »Potenz« einherging (und Frauen sie so lange akzeptierten, wie sie von Ehen und Beziehungen materiell abhängig waren). Wirtschaftliche Unabhängigkeit und Scheidung stehen in einem klaren Zusammenhang. Als Frauen zwischen 1970 und 1990 in den westlichen Industrieländern auf den Arbeitsmarkt strömten, verdoppelten sich die Scheidungsraten in Kanada, Frankreich, England und Deutschland. Entsprechend werden Frauen heutzutage früher untreu als noch in den fünfziger Jahren.82 Auch der Sexualwissenschaftler und Gender-Papst Robert Connell konstatiert im 20. Jahrhundert neben einer allgemeinen Zunahme außerehelicher Kontakte und einer höheren Anzahl vorehelicher Sex-Partner einen Trend zur Annäherung männlichen und weiblichen
    Sexualverhaltens.83
     
    Klischee Nr. 29:
    Die sexuelle Treue ist ein Grundwert
    ohne sekundären Nutzen.
     
    Aus evolutionsbiologischer Sicht sind Tauschgeschäfte eine Grundtatsache menschlichen Lebens, ein uraltes soziales Prinzip, das weder auf Geld noch auf materielle Ressourcen beschränkt ist. Als in den siebziger Jahren aus einigen Ecken der Hurenbewegung heraus postuliert wurde, daß auch die solide Ehefrau sich prostituiert, nahm man diese Gleichsetzung vor allem als Provokation wahr. Doch damals hatte das Konzept des sekundären Gewinns den Sprung aus dem Schatten des gesellschaftlichen Vorbewußtseins in die Arena der Auseinandersetzung auch noch vor sich. Aus evolutionspsychologischer Sicht verhilft der vermeintliche Altruismus einer Familienfrau zu sozialem Ansehen und einer stabilen Rollenidentität.
    Wie erstrebenswert dieser Sekundärgewinn für viele Frauen ist, läßt sich u. a. daran ermessen, wie eine Gesellschaft mit ungebundenen Frauen im Vergleich zu ungebundenen Männern umgeht. Am deutlichsten aber tritt der Tauschgeschäft-Charakter moderner Beziehungen zutage, wenn diese auseinanderbrechen, z. B. wenn ein Teil meint, mehr zu geben als zu nehmen, was sich auch auf die Anteile »emotionaler Arbeit« beziehen kann.84
    Dieser aus immateriellen Werten wie Statusgewinn oder sozialer Akzeptanz bestehende Sekundärgewinn disponiert Frauen geradezu für monogame Beziehungen. Treue Frauen werden nicht nur sozial stärker akzeptiert als promisk lebende Frauen, sondern auch von Männern für Langzeitbeziehungen favorisiert. Dabei ist die sexuelle Treue von Frauen weniger eine biolo gische Norm als eine Anpassungsleistung an die sexuelle Doppelmoral, und diese wird nicht zuletzt von deutschen Prostitutionskunden fortgeschrieben.
    »Bezüglich der Erwartung an sexuelle Treue zeigte sich zumindest bei einem Teil der befragten Männer eine Doppelmoral«, meinen Kleiber und Veiten. »Ganz andere, nämlich härtere Maßstäbe und Normen wurden für weibliche Sexualität als für männliches Verhalten zugrunde gelegt. Während fast drei Viertel der Freier (72,5%) sexuelle Treue bei Frauen für ›unbedingt‹ oder ›eher notwendig‹ hielten, hatte nicht einmal die Hälfte (44,8%) diese Einstellung bezüglich sexueller Treue bei Männern.«85 Aber Treue ist zumindest in der männlichen Wahrnehmung relativ. »Wenn ich mit Männern übers Fremdgehen rede«, so Oswalt Kolle, »sagen sie mir knallhart, sie gehen nicht fremd, sie sind absolut treu. Ich frage: ›Und? Prostituierte?‹ - ›Ja‹, erwidern sie dann, ›das ist doch was ganz anderes.‹«
     
    2 SEXUELLE TAUSCHGESCHÄFTE
     
    Klischee Nr. 30:
    Männer haben mehr Sexualpartner als Frauen.
     
    Befragt man Männer und Frauen nach der Anzahl ihrer Sexualpartner, so geben Männer in der Regel deutlich mehr Kontakte an als Frauen.
    Konfrontiert mit dieser mathematisch eigentlich ziemlich unlogischen Datenlage, mutmaßten zahlreiche Wissenschaftler zunächst, daß Männer zu Übertreibungen und Frauen zu Untertreibungen neigten.
    Als der amerikanische Sozialwissenschaftler Dewon D. Brewer die durchschnittliche Anzahl sexueller Tauschgeschäfte in diese statistische Schieflage hineinrechnete und plötzlich ein mathematisch ausgewogenes Ergebnis erhielt, war eine neue Erklärung für das Ungleichgewicht geboren: Prostituierte kamen in diesen Berechnungen nicht vor. Sie tauchten weder direkt in den Befragungen noch indirekt in der zugrunde gelegten

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