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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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gesellschaftliche Zusammenhalt wird immer geringer. Hier ist nicht gut leben. Das Gefühl, dies sei »unser Land« oder gar unsere Heimat, für die jeder mitverantwortlich ist, wo Bürger einander brauchen, fehlt weithin. Hier
war einmal
ein Kulturland. Es ist ein Teufelskreis: Die Flexiblen, Leistungsstarken, Innovativen gehen. Zurückbleiben jene, die auch woanders keine Chance fänden.
    |79| Mit der Aktion der »Heimatschachteln« sollte im Frühjahr 2006 dieser Problematik begegnet werden. Sie wurden an abgewanderte 18- bis 30-Jährige verschickt, um die verlorenen Landeskinder zur Rückkehr zu ermuntern. »Die Pakete enthalten auch kleinere Geschenke, die positive Erinnerungen wecken und die Magdeburg-Identität stärken sollen: Gutscheine für Bars, regionale Produktproben, ein Zeitungs-Abonnement oder ›Heimat-Magneten‹ für den Kühlschrank im neuen Zuhause.«
( Ber
liner Zeitung, 16. März 2006)
    Ausgedacht hatte sich die Aktion Christiane Dienel, einst Professorin an der Hochschule Magdeburg, dann Parlamentarische Staatssekretärin. Seien wir ehrlich: Ein Kabarettist hätte es sich nicht besser ausmalen können! Eintrittskarten des Magdeburger SC, Burger Knäckebrot und ein Heimat-Krimi sind ein schönes Präsent für die Abgewanderten, aber sicherlich keine politische Lösung für die massiven Probleme, die dazu geführt haben, dass aus Sachsen-Anhalt zwischen 1990 und 2003   250000 Einwohner (12,2 Prozent) abgewandert sind.
    Es ist beunruhigend, auf der Straße zu hören: »Dieses System ist nicht in der Lage, unsere Probleme zu lösen. Es ist völlig egal, wer in Magdeburg oder in Berlin regiert, weil über Zukunft an der Börse in New York, nicht an Kabinettstischen in Deutschland entschieden wird.« Die Erwartungen an den Staat sind hierorts so groß gewesen, dass sie jetzt auf dem Enttäuschungspegel null angelangt sind. Kein Engagement, kein Protest, keine revolutionäre Radikalkritik, sondern apathisches
Ab
warten ohne jedes
Er
warten. Entpolitisierung ist Verweigerung jeglicher Mitverantwortung, ja ein stilles Einverständnis damit, fortan nurmehr
Objekt
des Handelns anderer zu sein – ob benennbarer Mächtig-Reicher oder ferner anonymer Mächte. Der Citoyen – sofern er kurzzeitig 1989 aufgestanden war – meldet sich ab, macht die Bierflasche auf und stellt Comedy an. Ansonsten äußert er sich abfällig über alle, die es »geschafft haben«, die »überall nur abzocken«. Meinungen werden auf Schlagzeilen-Niveau reduziert. Wehe uns, dieses Potential würde mit kräftigen Ressentiments wach gemacht oder mit großsprecherischen |80| Parolen gefüttert. Wie viel destruktive Kraft sich angesammelt hat, konnte man beim Landtagswahlkampf 2006 erleben, wo Politiker wie Abtreter behandelt wurden. Machten sie konkrete Versprechen, wurden sie als »Lügner« gescholten, machten sie keine, wurde ihnen »Konzeptionslosigkeit« vorgeworfen.
    Bei manchen Wahlveranstaltungen konnte einem schon angst und bange um die politische Kultur werden, dominierte doch dort bisweilen ein jede Sachdiskussion konterkarierender Plebs mit verächtlichen Ein- und Anwürfen an »die Politiker«. An ein Ausreden war überhaupt nicht zu denken. Die beschimpften Repräsentanten brauchten viel Selbstbewusstsein und Gelassenheit, um nicht auszurasten. (In Berlin wurden 2006 bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus Wahlhelfer tätlich angegriffen.) Dahinter verbirgt sich reale Verzweiflung, tiefgehender Frust, der endlich einen vermeintlichen Ansprechpartner gefunden hat.
    Vertrauen in die Parteien siedeln Demoskopen ganz unten an. Es ist nicht Zeit, »Alarm zu schlagen«, aber es ist Zeit, sehr unruhig zu werden. Wenn der
Datenreport 2006
zeigt, dass die Akzeptanz der Staatsform Deutschlands in den letzten Jahren gesunken ist, dann ist das ein dramatisches Signal für den Zustand unserer Demokratie, die von gestaffelter Beteiligung lebt und bei Dauerabstinenz erlischt. Besonders hoch war der Zustimmungsverlust in Ostdeutschland: Nur noch 38 Prozent der Befragten sagten, dass die Demokratie in Deutschland die beste Staatsform sei, die relative Mehrheit von 41 Prozent glaubte das nicht. Immerhin schon 22 Prozent der Ostdeutschen vertrauen der »Demokratie an sich« nicht mehr. Bei der Befragung 2000 waren es nur 8 Prozent gewesen, die eine andere Staatsform für besser hielten. Wer die Demokratie nicht für die
beste
Lösung hält, hat freilich noch keine Antwort darauf gegeben, welches die
bessere
Lösung sei, und schon gar nicht

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