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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Ohnmacht und Unterlegenheitsgefühlen auf der anderen Seite führt, zeigt sich im Hinblick auf Ausländer ebenso wie in Hinblick auf West- und Ostdeutsche sowie auf Eliten und »Unterschichten«.
    Was sich als Toleranz ausgibt, ist vielfach bloße Denkfaulheit, Unentschiedenheit, Gleichgültigkeit, Missachtung dessen, was andere denken, und kalte Ignoranz gegenüber den Lebensumständen anderer. Toleranz setzt im Grunde dialogische Existenz und Symmetrie voraus, zumindest Chancengleichheit. Werden Menschen, Gruppen oder Schichten sozial oder politisch auf Dauer ausgegrenzt, müssen sie sich ducken. Aus der Unfähigkeit, die eigenen Rechte, Interessen und Überzeugungen zu vertreten, erwachsen Hass, Wut und Gewalt, die sich wiederum gegen andere Ausgegrenzte richten, gegen noch mehr Benachteiligte oder gegen Minderheiten.
    Die Freiheit der Meinung, der Lebensgestaltung und des Zusammenschlusses mit anderen findet ihre Grenze bei denen, die alles tun, um eben diese Freiheit lediglich dazu zu nutzen, sie zu zerstören oder für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Die Freiheit zum Abwürgen der Freiheit kann um der Freiheit willen nicht toleriert werden.
    Ein gegenüber jeder Intoleranz konsequent einschreitender Rechtsstaat bedarf neben seinen funktionstüchtigen Institutionen der mündigen, die Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung aktiv vertretenden Staatsbürger. Allzu schnell, allzu gern, allzu oft bedienen sich die Intoleranten des Raumes, den ihnen die Toleranten gelassen hatten; gerade die Tolerantesten werden erste Opfer der Intoleranz.
    Toleranz begegnet mindestens drei Gegnern, nachwachsenden Drachenköpfen vergleichbar:
Dem universalen Wahrheitsanspruch für die eigene Überzeugung, einem vermeintlich sicheren Besitz von Wahrheit.
|194| Der Gleichgültigkeit, die alles zulässt und alles für »gleich gültig« und damit für gleichgültig erklärt. Meinungslosigkeit ist keine Toleranz, sondern Einfallstor für jedwede Intoleranz, weil das Vakuum von strammen Ideologen, von neuen Führern und Verführern ausgefüllt wird.
Dem Fundamentalismus, der prinzipiell nicht nur intolerant gegenüber anderen ist, sondern auch alle Mittel einsetzt, um andere zu erniedrigen, zu unterdrücken oder auszulöschen.
    Die Grundversuchung der Menschheit war und bleibt ein manichäisches Denken, das sich dialektischem Denken und der vielschichtigen Wirklichkeit prinzipiell verweigert. Dazu passt das Ja-Nein-, Gut-Böse-, Wahr-Falsch-, Stark-Schwach-Schema. Jedes dieser Schemata entfaltet in der Regel enorme destruktive Kräfte. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte kann man davon ein Lied singen – ein erschreckendes.
    In der Demokratie ist Toleranz die Voraussetzung für das Finden von tragfähigen Kompromissen, damit
allen
ein Leben in Würde möglich bleibt. Der Kompromiss beruht auf der Erkenntnis, dass die eigene Überzeugung, die eigenen Interessen und die eigene Lebensweise nicht das Maß aller Dinge sind. Wer erwartet, dass der andere nachgibt, soll diesem signalisieren, dass er selber auch prinzipiell in der Lage und konkret bereit ist nachzugeben. Demokratie bedeutet, andere ausreden zu lassen; Toleranz bedeutet, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Dann aber geht es um gemeinsam zu akzeptierende Entscheidungen.
    Freilich kann Nachgeben auch Ausdruck von Feigheit, ein Aufgeben und Zurückweichen aus opportunistischen Gründen sein. Prinzipienfestigkeit ist andererseits noch längst kein Zeichen von Mut, sondern Ausdruck uneingestandener Starrheit, Lernunfähigkeit und Borniertheit. Nur der Problembewusste und Suchende kann von innen her tolerant sein, eben weil er sich beständig die Unvollkommenheit all seines Begreifens und Tuns klarmacht.
    Wer einen Wahrheitsanspruch hat und geradezu »verkörpert«, wie dies römisch zentrierte Katholiken tun, ist eigentlich nicht zur Toleranz, sondern nur zur temporären Duldung in der Lage, |195| genau so lange, wie dies realpolitisch unvermeidbar erscheint. Wenn aber die christliche Wahrheit angeblich in der Kirche (in der römischen!) substituiert ist, so können die anderen eben nur Teilwahrheiten partiell repräsentieren. Folgerichtig muss sie anderen Glaubensgemeinschaften ihr Kirche-Sein absprechen.
    Sollte Rom sich nicht erinnern, welche fatalen – rückblickend auch verbrecherischen – Folgen Intoleranz aus Wahrheitsbesitzansprüchen für das geistige und für das physische Leben des ganzen Kontinents jahrhundertelang hatte?!
    Und ist nicht

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