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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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eigenen Ansichten und Haltungen bewusst zu werden, sie zu prüfen und gegebenenfalls zu verändern. Wer seiner Wahrheit mit Gewalt Raum schaffen will, ist sich seiner Sache selbst nicht sicher.
    Toleranz wird oft gleichgesetzt mit der Duldung des anderen – dessen Denken, Handeln und Lebensgewohnheiten. Für ein gelingendes längerfristiges Zusammenleben von Mitgliedern einer Familie oder Ethnie bzw. verschiedenen Ethnien, Kulturen, Religionen reicht bloßes Dulden nicht aus. Duldung wahrt einen tiefen inneren Abstand zum anderen. »Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt Beleidigen.« (Goethe) Duldung liegt wie eine Last auf der Seele; und diese Last ist der andere, der Fremde, der als Bedrohung erfahren wird und Angst macht. Wiewohl das Ziel menschlichen Zusammenlebens das Anerkennen, das ganz freie Akzeptieren des anderen darstellt, so ist doch Dulden bereits eine Tugend, die wenigstens Gewaltanwendung ausschließt und nolens volens die anderen leben lässt.
    Eine sogenannte Multikulti-Ideologie ignoriert jedoch die Realität, verschweigt nicht nur Konflikte, sondern verstärkt sie gerade durch geflissentliches, moralisch hochstehendes Verschweigen, Verleugnen, Übersehen.
    Das Anerkennen und Ertragen des Andersartigen, des Andersdenkenden, des Andersaussehenden und des Andersgeprägten ist ein wechselseitiger Prozess zwischen Einzelnen, zwischen Mehrheiten und Minderheiten. Anerkennung setzt Kompetenz zur Lösung von Konflikten und zur sachbezogenen Argumentation voraus. Solche Kompetenz muss von Kindheit an erworben und geschult werden.
    Es bedarf überdies vertraglicher Regelungen, um zu verträglichem Neben- und Miteinanderleben zu gelangen. Toleranz und Intoleranz liegen nach aller Erfahrung nicht weit auseinander. Was ist, wenn der andere einen selbst nicht toleriert oder die Mehrheiten nicht die Minderheiten und umgekehrt? Zur Gretchenfrage für gegenseitig verträgliches Zusammenleben wird die Art und Weise, wie einer mit dem umgeht, der ihm nicht folgt. |192| Toleranz bedeutet bewusst zu ertragen, dass andere – meist aus Herkunftsgründen – nicht nur anders
sind
, anders leben, denken und fühlen, sondern auch anders
bleiben
wollen. Toleranz und Intoleranz liegen oft nicht weit auseinander. Intoleranz wirkt in aller Regel ansteckend. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf Fremde, sondern auch für Konflikte zwischen Einheimischen.
    Die Grenzen der Toleranz werden nach aller Erfahrung schnell erreicht, wenn es um religiöse oder kulturelle Eigenheiten geht. In solchen Fragen gibt es kein Mehr oder Weniger, sondern nur Entweder-Oder. Konflikte sind unvermeidbar. Die Frage ist nur,
wie
sie ausgetragen werden. Der Intolerante wird letztlich Macht ausüben und Toleranz beseitigen, von der er selber profitiert hat, als er die Macht (noch) nicht gehabt hat. Wenn der Tolerante nicht klar und frühzeitig den Intoleranten entgegentritt, so rechtzeitig, dass jene ihre Intoleranz nicht zum allgemeinen gesellschaftlichen Prinzip machen können, wird er verlieren, untergehen, zerrieben werden.
    Echte Toleranz beruht auf innerer Souveränität, die den Unterschied nicht einebnet, die Differenz nicht verschweigt, aber stets für die Meinungsfreiheit des anderen ficht. Voltaire hat das unübertreffbar formuliert: »Ich mißbillige, was du sagst; aber bis in den Tod werde ich dein Recht verteidigen, es zu sagen.«
    Toleranz muss aus dem Anerkennen des elementaren Lebensrechtes und der Würde des anderen erwachsen. Dabei geht es um mehr als die Vermutung, der andere könnte auch Recht haben: nämlich um die prinzipielle Anerkennung der universellen Menschenrechte unter der Ausgangsmaxime, dass
alle
Menschen die gleiche Würde in sich tragen. Die Würde des Menschen hängt nicht von Eigenschaften oder Einstellungen ab, auch nicht davon, ob sie anerkannt wird. Sie ist universell gültig und unantastbar. Wenn ich einem anderen seine Menschenrechte abspreche, weil er nicht die gleichen Merkmale oder Eigenschaften hat wie ich, wird er mir meine Menschenrechte auch absprechen, denn ich bin für ihn ebenfalls »anders«. Definiere ich als notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Menschenrechte |193| eine meiner Eigenschaften, über die er nicht verfügt, ist es für ihn naheliegend, seine Vorstellung von Menschenwürde mit einer seiner Eigenschaften zu verbinden.
    Wohin die Diskrepanz zwischen Macht und Überlegenheit auf der einen Seite und

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