Lass Es Gut Sein
Alten? Wenn sie nun
zu alt
werden und viel zu viele werden? Die Jungen wollen’s und können’s nicht mehr tragen, und sie signalisieren den Alten, dass sie sich trollen sollen. Wer heute so über die Alten denkt, vergisst, dass er morgen auch alt sein wird und auch gern lange leben will. Das alte Gebot »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden« stellt klar, dass die Alten bis zum Schluss zu ehren sind.
Die Alten tragen einen Lebensschatz an Erfahrung und Weisheit mit sich, der den Jungen zugute kommt. Zugleich ist Widerspruch ganz natürlich: Nicht immer auf die Alten hören! Selber entscheiden, selber probieren und sich von den Alten emanzipieren. Was aber wird, wenn es zu viele werden, deren »verbriefte« Ansprüche an Lebensunterhalt und Gesundheitsfürsorge überhandnehmen, nicht mehr tragbar werden? Wie werden wir fertig mit einer völlig überalterten Gesellschaft, wo fast überall Grauköpfe dominieren?
Ein bisher nicht gekannter Generationenkonflikt steht uns ins Haus – auf der mentalen, der medizinischen, der sozialökonomischen und auf der politischen Ebene. Ist es in jedermanns/jederfrau Belieben gestellt, Kinder zu haben oder keine zu haben, oder gehört es zu den selbstverständlichen, naturgegebenen und aus eigener Einsicht erwachsenden Verpflichtungen all derer, die Kinder haben können, auch Kinder zu wollen? Zweifellos ist es nicht in unser Belieben gestellt, sondern unsere Verpflichtung: einerseits für die Alten und andererseits für Kinder zu sorgen, während wir selber in der Blüte unserer Kraft stehen. Das richtet |212| sich nicht gegen Selbstverwirklichung, aber gegen Egoismus als Karriereideologie.
Die Grundfesten unserer Gesellschaft sind erschüttert; nicht nur, weil es »zu viele Alte« gibt, sondern weil es »zu wenige Junge« gibt. Das Problem wird unsachgemäß auf den Arbeits- und den Finanzminister sowie auf die Gesundheitsministerin verlagert. Zugleich und zuförderst muss es um Familienpolitik gehen. Zuallererst ist unserer Gesellschaft wie jedem Einzelnen ein grundlegender mentaler Wandel abverlangt, auch ein Wiedergewinn alter Weisheiten:
Erstens ist die Fürsorge zunächst eine persönliche und
dann
eine gesellschaftliche Aufgabe.
Zweitens ist jeder im Prinzip dafür mitverantwortlich, dass es eine natürliche Regeneration, also genügend Kinder, gibt, für die man sorgen muss, bis sie für uns sorgen. Der soziale Rahmen muss freilich möglichst kinderfreundlich gestaltet sein.
Drittens soll man Leben nicht um jeden Preis verlängern wollen. Abgeben, Weggeben, Loslassen gehört zur Klugheit der sterblichen Kreatur. Man nannte diese Lebenskunst früher ars moriendi.
»Unser Leben währt 70 Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind es 80 Jahre. Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden« (Psalm 90) – das ist eine Glaubensweisheit, die auf der Gewissheit der Güte Gottes beruht. Beides muss wieder ins Lot kommen: die Bereitschaft, selber für Nachwuchs zu sorgen, und die Bereitschaft, sein Leben loszulassen, nicht um jeden Preis weiterleben zu wollen.
Darüber können freilich die Jungen und Gesunden nur mit den Alten und Kranken gemeinsam entscheiden. Viel wichtiger wird die sinnvolle Integration der Alten ins gesellschaftliche Leben werden, statt weiter einem Jugendkult bei immer weniger Jungen zu frönen.
|213| Leben lassen und sterben lassen
Brächten Sie es als Vater oder Mutter übers Herz, Ihrer jahrelang im Koma liegenden Tochter die lebenserhaltende Magensonde entfernen zu lassen?
Würden Sie als Ehemann Ihre 15 Jahre im Wachkoma liegende Frau in Frieden sterben lassen wollen, nachdem aufgrund allen menschlichen Ermessens klar ist, dass eine Rückkehr des Bewusstseins nicht mehr möglich ist?
Und was wünschten Sie sich selber für den Fall, dass Sie nicht mehr selbst entscheiden können, ob Ihr Leben durch Apparate künstlich verlängert werden soll oder nicht? Alle Erfahrung sagt, dass keiner von uns weiß, wie er darüber denkt, wenn er oder sie wirklich selber betroffen sind.
Zurückgeworfen auf große existenzielle Fragen werden wir alle. Zwischen aller Anstrengung, Leben zu erhalten, und aller Gelassenheit, den Tod kommen zu lassen, besteht in der Regel ein quälender Widerspruch, der uns zu zerreißen droht.
Wurde die Lebensqual des Papstes Johannes Paul II. zu Ostern 2005 öffentlich zur Schau gestellt – oder war es eine Erinnerung für eine den
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