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Lass Es Gut Sein

Titel: Lass Es Gut Sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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des Fastens im definitiven Ende des närrischen Faschingstreibens wird wiederentdeckt: Auf Rosenmontag folgt die Fast-Nacht und dann der Aschermittwoch, also auf die Nacht des Rausches der Morgen der Ausnüchterung. Nach der regellosen Ausgelassenheit kommt die strenge Fastenregel, ob mit Voll- oder nur mit Alkoholfasten, ob mit Saft- und Süßfasten oder einfach mit Reduktionsdiät zum längst fälligen Abspecken.
    Geradezu als neue Sucht zeigt sich ein
Fastenrausch,
nachdem der
Konsumrausch
den Zenit seiner faden Faszination – Shoppen als Kulthandlung mit Suchtcharakter – überschritten hat und das ständige Satt- und Vollsein einfach lästig wird – zumindest vielen, die es hierorts noch ganz gut getroffen haben. Einen besonderen
Kick
soll es dabei geben, Glücksgefühle nach drei Tagen fastender Quälerei.
    Fasten kann einen teuer zu stehen kommen, sobald es in Fastenkurse mündet. »Man gönnt sich ja sonst nichts.« Die katholische Kirche ist per SMS dabei – Prominente wie Norbert Blüm senden Fastenden fast-food-news.
    Inzwischen finden sich 412   000 Einträge bei Google unter dem Stichwort »Fasten«. 120   000 mehr als im Vorjahr. Während die einen sich wöchentlich beim Bodybuilding kasteien, probieren es andere mit systematischem Abhungern, diesem Doping |205| der Konsumgesellschaft mit Kicksucht – samt der Illusion, dass die Seele mehr bekommt, wenn der Leib sich quält. In Zeiten der notorischen Übergewichtigkeit – wo Schlankheit Kult-Charakter hat – bekommt die Hungerkur einen Kult-Status.
    Die Probanden berichten im Frühstücksfernsehen von einem Lusterlebnis der Seele, von euphorisierten Zuständen, von Freiheitsrausch, vom Glücksgefühl der Entschlackung. Ich sehe etwas misstrauisch in leicht sauertöpfische Gesichter, die fest behaupten, es würde ihnen jetzt so unwahrscheinlich gut gehen und sie hätten ganz großartige Erlebnisse gehabt. Glücklich sehen sie mir nicht aus. Und welchen Hunger sie hatten, verleugnen sie meist.
    Der Versuch, jenes eigentümliche Mangelgefühl mitten im Überfluss, jenen Hohl-Raum, den die Fülle hinterlässt, loszuwerden, ist dennoch so bedenkens- wie nachahmenswert. Wer nämlich eine Zeitlang auf Dinge verzichtet, die zum täglichen – selbstverständlichen! – Lebensgenuss gehören, kann sich durch freiwillige Abstinenz leiblich, psychisch und geistig darüber klarwerden, wie abhängig er bereits ist – und wie unabhängig er durch einen bewussten Akt des Verzichts wird. So kann selbstauferlegtes »Darben« geradezu befreiend wirken. Sagen wir: »Sieben Wochen ohne …« – Alkohol, Tee und Kaffee, ohne Fleisch und Süßes, ohne Fernsehen und Zeitungen. Was aber stattdessen? Die Zeit muss anders gefüllt, die Gedanken müssen auf anderes gerichtet werden, will man in sich eine Veränderung erfahren!
    Sinn macht solch bewusstes Lassen nur, wenn eine Zeit bewussten Verzichts auf äußere Genüsse als Zeit innerer Be-Sinnung genutzt, wenn Glück im Maßhalten erlebt wird, wenn man erkennt, was man alles nicht braucht, um glücklich zu sein, wenn man sich zugleich von dem ganzen Unrat freimacht, mit dem der eigene Seelengrund zugemüllt, mit dem der Geist tagtäglich vernebelt wird.
    Ein bewusster äußerlicher Akt kann zu einem tiefen Erlebnis von Freiheit führen – als Folge einer leiblich-geistigen Entschlackung. Das meint weit mehr als die modische Fastenwelle, mehr als Glücksrausch im Hungerdelirium.
    |206| Im ur-christlichen Sinne ist die Fastenzeit zugleich Passionszeit, Zeit der herausgehobenen Solidarisierung mit denen, die leiden, im inneren Mitgehen, im mystischen Einswerden mit dem, der für andere Leiden auf sich genommen hatte, der die Leiden anderer nicht mehr übersehen und ihnen keine zufügen wollte. Passionszeit ist die Zeit der Sym-pathie im Ursprungssinne, also des Mitleidens. Der »Menschensohn«, der das Heil bringt, nimmt sich des Elends an: Er weint mit Weinenden, hungert mit den Hungernden und wird fröhlich mit den Fröhlichen.
    Im christlichen Sinne sind Fastenzeiten immer Zeiten der Leidensmystik, also eines aktivierenden Mitbedenkens, des Innewerdens des Leidens in der Welt – zusammen mit der Ausrichtung auf die Wende zum Leben: Auf die Passion folgt Ostern, auf den Advent folgt Weihnachten, auf die Zeit des Verzichts folgt die Zeit der Fülle. Nur wer zuzeiten verzichten kann, kann sich zur gegebenen Zeit von Herzen freuen. Wer immer alles hat, kommt vom Überfluss in den Überdruss. Oder er lässt sich

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