Lass los was dich festhaelt
Gewissen.«
Eines Abends, als die zwei Sätze nach dem dritten Glas Rotwein wieder ausgesprochen wurden, sagte ich zu ihm: »Wissen Sie, es gibt zwei Arten von Zufriedenheit im Alter. Die erste entsteht aus der Gewissheit, dass man alles so gut gemacht hat, wie man nur konnte, während die zweite nichts ist als Frustration, weil man erkennen muss, dass man an dem, was man angerichtet hat, sowieso nichts mehr ändern kann. Welche ist denn Ihre Zufriedenheit?«
Er sagte lange nichts, doch dann erzählte er mir von einem Erschießungsbefehl, den er als junger Oberleutnant im Zweiten Weltkrieg auszuführen hatte. »Es waren acht Kameraden«, sagte er und die Tränen rannen ihm über die Wangen, »aber es war doch Pflicht! Was hätte ich denn tun sollen?«
Kann ein Mensch jemals wieder Frieden in seinem Inneren finden, frage ich mich, wenn er so etwas erlebt und getan hat? Das Gewissen sagt: Nein! Aber was wäre die Alternative gewesen? Steht nicht im Matthäus-Evangelium geschrieben: »Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«? Charakter zeigt sich in den Entscheidungen, die im Moment der Belastung getroffen werden. Was wäre in diesem
Fall die optimale Handlungsweise gewesen? Vielleicht die Weigerung: »Nein, Herr General, ich töte keine Kameraden!« Oder was sonst? Er wäre sofort vor ein Kriegsgericht gekommen, oder, noch wahrscheinlicher, auf der Stelle mit den acht Kameraden exekutiert worden. Was wäre »besser« gewesen?
Vielleicht fragen Sie jetzt: Was hat denn das mit »Loslassen« und mit meinen heutigen Problemen zu tun? Es soll Ihnen vor Augen führen, was Entscheidung und was Gewissen bedeutet und welche Rolle der freie Wille spielt. Es ist das Problem des Hausmeisters Jakob Schmid, der vor fast siebzig Jahren die Geschwister Scholl beim Verteilen ihrer Flugblätter beobachtete und sie bei der Gestapo denunzierte. Was hätte er tun sollen? Er war Parteimitglied und überzeugter Anhänger des Systems. Und er war weiterhin überzeugt, eine ruhmreiche und pflichtbewusste Handlung vollbracht zu haben, denn es waren ja seiner Meinung nach Systemschädlinge, denen er das Handwerk gelegt hatte.
In der Folge wurden zahlreiche Mitglieder der Widerstandsbewegung »Weiße Rose« verhaftet und enthauptet oder eingesperrt. Jakob Schmid wurde befördert und bekam als Belohnung für seine Heldentat 3 000 Reichsmark (vergleichbar mit etwa 10 000 Euro heute).
Jakob Schmids Tat ist, aus heutiger Sicht betrachtet und im Vergleich zu anderen Geschehnissen der damaligen Zeit, eher als »minder schweres Vergehen« einzustufen. So habe ich es noch in der Schule gehört und bin kurz darauf wegen »Störung des Unterrichts« aus der Klasse geflogen. Ich fand sein Verhalten nicht »minder schwer«, denn gilt nicht auch der Satz: »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht«? Wird Unrecht zu Recht, wenn alle der Deformation beistimmen und sie mit Applaus begleiten? Macht, Wohlstand, Sex. Etwas sein wollen, etwas haben wollen, etwas spüren wollen? Um jeden Preis! Minder schwer?
Es geht mir um die Offenlegung des vermeintlichen Anspruchs auf Befriedigung dieses kleinen, immer hungrigen und gierigen Triebfaktors Ego, der nicht einmal weiß, wie Gewissen buchstabiert wird, und der, um die oben genannten drei Leckerbissen für sich verbuchen zu können, alles tun würde: Morden, verraten, intrigieren, denunzieren und, und, und.
Wer sündigt, wird von Gott betraft?
Bitte streichen Sie diesen Satz! Für immer!
Gott ist ein ewiges geistiges Prinzip. Das Ego ist ein sich prinzipiell an Materie orientierendes und deshalb sterbliches Wesen. Orientiert sich das Streben nach Macht an Materie? Sucht der Ruhmsüchtige die Materie? Bekommen wir Sex durch Materie?
Ja und dreimal ja! Denn Menschen sind der Materie untrennbar verhaftet durch ihren Körper, durch ihre Lebensführung und durch ihr Verständnis von Selbst-Bedeutung.
Gott straft die Sünder?
Gott führt in Versuchung?
Manchmal wünschte man wirklich, dass der Himmel sich öffnen und eine Stimme erschallen möge, die sich lautstark diese Zuweisungen verbittet!
Gott reagiert auf jeden Schritt, den wir in seine Richtung gehen oder, besser gesagt, denken, fühlen und handeln, und zu diesen Schritten gehören auch Reue und Erkenntnisstreben. Durch diese seelischen Vorgänge können ganz besondere Kräfte aktiviert werden, die uns helfen, Versuchungen zu durchschauen und zu überstehen. Wir leben in der Versuchung, und bei denen, die uns in diese
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