Lass los was dich festhaelt
seinen einzigen Lebenssinn in der Anhäufung von Materie sieht. Diese Einstellung akzeptiert zwar den Tod als letzte Instanz, negiert aber jedwede nachtodliche Existenz und damit auch jede Verantwortung und jede Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen, denn sie erkennt auch keine höhere Macht an, deren Gesetz Folge geleistet werden muss. Das ist die Lieblingsdenkweise der vorher erwähnten erdgebundenen Wesen, die mit ihrer Beeinflussung nur eins bezwecken, nämlich aus möglichst vielen Menschen ebenfalls erdgebundene und vom Gottesbewusstsein losgelöste Wesen zu machen. Je mehr ein Mensch sein geistiges Ursprungsbewusstsein verliert, je intensiver er die geistigen Zusammenhänge leugnet und je radikaler er sich der Materie zuwendet, desto bevorzugter wird er von diesen Wesen unterstützt und gefördert, zum materiellen Erfolg geführt und dadurch in seiner materialistischen Ideologie bestärkt.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, mahnt das Dichterwort, und tief schlummert in jeder Menschenseele die Sehnsucht, diesen Anspruch zu erfüllen. Aber mit dem hilfreichen Edelsein verhält es sich ähnlich wie mit dem Wissen um gesundes, maßvolles Essen: Man weiß genau, dass diese Form der
Ernährung die beste und gesündeste ist, die außerdem noch die schlanke Figur bewahren würde, und trotzdem stopft man sich mit dem schauerlichsten Kunstfraß voll und schüttet noch Kaffee und Alkohol hinterher. Warum? Weil es Spaß macht, ist die Antwort, und weil Diät und betont gesundes Essen so langweilig und lästig sind wie eine theoretische Unterrichtsstunde in der Fahrschule. Und wie das dauernde Edeltum und Gutsein.
Doch wie lösen wir das Dilemma? Zumal wir an dem Punkt unserer Unterhaltung angekommen sind, wo wir zugeben müssen, dass die Menschheit doch regelmäßig sehr erfreut reagiert, wenn ein ausgewiesener Edel- oder Gutmensch beim Ausleben seiner Schattenseiten erwischt wird. Dann ist zwar der Ruf ruiniert, aber gewisse Sympathien sind wiederhergestellt, die für die exklusive Haltung nicht mehr erforderlich oder nicht zu ihr passend schienen. Fazit: Sondert sich ein Mensch allzu fühlbar vom Allgemeinen ab, ganz gleich ob durch Religion, Verhalten, Meinung oder Aussehen, wird er von der Allgemeinheit entweder belächelt, angegriffen oder übersehen. Oder gefeiert und zum Gott erhoben. Damit sind wir wieder bei der Fremdratte angelangt, die nur Überlebenschancen hat, wenn sie »fremd parfümiert« wird. Wenn sich einer im Menschenverband unbeschadet exponieren will, muss er den »Zurückgebliebenen« trotzdem noch das Gefühl geben, einer der ihren zu sein. Er muss beispielsweise weiterhin ihre Einladungen annehmen und an ihren Gesprächen teilnehmen, denn sonst heißt es bald: »Dem/der sind wir nicht mehr gut genug!« Und: »Gott, ist der/die arrogant geworden!« Und schon wird die Nachredenbildung einsetzen und ihre Kreise ziehen. Wenn derjenige dann seinen Standort ändert, also umzieht, hat er eine gewisse Chance, mehr oder weniger ungeschoren davonzukommen, aber dann muss er sich andernorts
ein neues soziales Umfeld schaffen und neue Wurzeln schlagen. Das klappt nicht immer und umso weniger, je edler, religiöser und disziplinierter ein Mensch ist. Er ist - wie das krasse Gegenteil, der asoziale Störenfried - suspekt, weil er nicht der »Norm« entspricht. Und die Norm wird vom kollektiven Volksempfinden festgelegt, das einen unübersehbaren Hang zum kollektiv Schweinischen und Verderbten hat und sich zwar scheinbar über Repräsentanten dieser Verhaltensformen aufregt, es aber trotzdem »geil« findet, was der/die sich traut. Von dieser heimlichen Bewunderung leben ganze Wirtschaftszweige, etwa große Teile des Comedy-Geschäfts, die Filmindustrie mit ihren Stars, die Printmedien, die von den Eskapaden der Promis berichten und so weiter. Wenn ein Mensch eine edle Tat vollbringt, indem er beispielsweise heldenhaft einen Ertrinkenden rettet oder ein Unheil verhütet, dann bekommt er einen Artikel in der Tageszeitung, alle sagen: »Toll, toll!«, und damit hat es sich. Keiner will hören, wie es dem Edlen, Guten und Hilfsbereiten weiterhin ergangen ist. Führt sich aber etwa eine der bis zum Überdruss bekannten Promi-Damen wie eine Pottsau auf, dann will man weiter und weiter und weiter informiert werden und verhilft ihr damit zu noch mehr »Prominenz«.
Jean Jacques Rousseau, so viel wissen wir heute, hatte nicht recht mit seiner Behauptung, der Mensch sei grundsätzlich gut. Er ist zumindest nicht
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