Lass mich deine Liebe spueren_Zwei Maenner fuer die Herzogin
verwirrt um. Plötzlich durchzuckte sie es wie ein Blitz. Der dunkelblaue Rock war nicht da, mit dem er an Deck gegangen war. Weder er noch die anderen Kleidungsstücke, die er gestern abend getragen hatte.
Captain Farraday hatte durchaus Verständnis für Alexandras Besorgnis, aber keineswegs die Absicht, die Flut ohne sein Schiff auslaufen zu lassen. Und das sagte er ihr auch. Eine entsetzliche Vorahnung durchzuckte Alexandra und ließ sie erzittern, aber sie wußte ganz instinktiv, daß Bitten den Mann nicht beeindrucken würden. »Captain Farraday«, begann sie, richtete sich zu voller Größe auf und fuhr mit einer Stimme fort, von der sie hoffte, daß sie wie die autoritäre Stimme von Jordans Großmutter klang: »Wenn mein Mann irgendwo verletzt auf diesem Schiff liegt, wird Sie die volle Verantwortung treffen — nicht nur für seine Verletzung, sondern auch für die Tatsache, daß Sie ausgelaufen sind, ohne ihn rechtzeitig zu einem Arzt bringen zu lassen. Und wenn ich es gestern nicht falsch verstanden habe, dann ist mein Mann Teilhaber des Unternehmens, dem dieses Schiff gehört.«
Kapitel 11
In Galauniform und militärischer Haltung standen Captain Farraday und sein Erster Maat auf dem verlassenen Deck der Fair Winds und beobachteten, wie die schwarze Reisekutsche direkt vor ihrer Gangway anhielt. »Das ist sie?« fragte der Erste Maat und starrte ungläubig auf die schmale, kerzengerade Gestalt, die am Arm von Sir George Bradburn, eines der einflußreichsten Männer der Admiralität, langsam über die Gangway geschritten kam. »Sie wollen mir erzählen, daß diese weißhaarige alte Frau über ausreichend Macht verfügt, den Minister dazu zu veranlassen, unser Schiff zu beschlagnahmen und uns an Bord festzusetzen, damit wir uns anhören, was sie zu sagen hat?«
Das Klopfen an der Tür ließ Alexandra hochfahren. Ihr Herz hämmerte vor Furcht und Hoffnung, wie stets in den letzten fünf Tagen, wenn draußen ein Geräusch zu hören gewesen war, aber es war nicht der Herzog, der vor der Kabinentür stand. Es war seine Großmutter, die sie seit ihrem Hochzeitstag nicht mehr gesehen hatte. »Gibt es etwas Neues?« hauchte Alexandra, viel zu verzweifelt, um die alte Frau ordentlich zu begrüßen.
»Der Kapitän und der Erste Maat wissen nichts«, antwortete die Herzoginwitwe. »Kommen Sie mit mir.«
»Nein!« schrie Alexandra auf, schüttelte wild den Kopf und wich zwei Schritte zurück. »Er würde wollen, daß ich bleibe...«
»Mein Enkelsohn«, entgegnete die Herzogin mit ihrer eisigsten Stimme, »würde wollen, daß Sie die Würde und Selbstbeherrschung zeigen, die seiner Frau, der Herzogin von Hawthorne, angemessen ist.«
Die Worte trafen Alexandra wie ein Schlag - und brachten sie zur Vernunft. Ja, das war es, was ihr Mann von ihr erwartete. Sie nahm den braunweißen Welpen hoch, straffte den Rücken und lief neben der Herzogin und Sir George Bradburn mit fast hölzernen Bewegungen zur Kutsche. Aber als der Kutscher nach ihrem Ellbogen griff, um ihr beim Einsteigen zu helfen, sah sich Alexandra noch einmal um und blickte fast verzweifelt zu den Tavernen und Speichern an den geschäftigen Docks hinüber. Dort irgendwo war ihr Mann. Krank oder verletzt... So mußte es sein.
Ihr Verstand weigerte sich, über diese beiden Möglichkeiten hinauszudenken.
Stunden später, als die Kutsche sich ihren mühsamen Weg durch die Londoner Straßen bahnte, wandte Alexandra ihren leeren Blick vom Fenster ab und sah die Herzogin an, die ihr so kalt und starr gegenübersaß, daß sich Alex fragte, ob diese Frau überhaupt einer Gefühlsregung fähig war. In der Grabesstille empfand Alexandra ihre geflüsterte Frage »Wohin fahren wir?« wie einen Schrei.
»In mein Stadthaus. Dort wird bereits Ramsey mit einigen Dienern eingetroffen sein, die die Fensterläden geschlossen halten und allen Besuchern sagen, wir wären auf Rosemeade. Die Nachricht vom Verschwinden meines Enkels steht in allen Zeitungen, und ich möchte nicht von sensationshungrigen Besuchern behelligt werden.«
Der schroffe Ton der Herzogin weckte in Sir George offenbar Mitgefühl für sie, denn erstmals brach er sein Schweigen, um Alexandra zu versichern: »Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was mit Hawthorne geschehen ist. Bow Street hat hundert Mann losgeschickt, damit sie die Gegend um die Docks durchforsten und Erkundungen anstellen, und die Familienanwälte der Hawthornes haben weitere hundert Ermittlungsbeamte
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