- Lasst die Toten ruhen
ging zum Sarg und öffnete das Paket. Sie hatte kaum den Hammer und die drei eisernen Nägel erkannt, als plötzlich Woislaws Stimme laut durch die Kirche drang und die Stille der Schiffe brach. Franziska zuckte zusammen, doch sie erkannte das festgelegte Gebet. Sie nahm einen der Nägel und schlug ihn mit einem einzigen Hammerschlag wenigstens einen Zoll in den Deckel. Alles blieb ruhig, nur das Echo des Hammerschlags war zu hören. Die Maid fasste sich ein Herz, ergriff den Hammer mit beiden Händen und schlug den Nagel mit zwei machtvollen Schlägen bis zum Kopf in das Holz. Da erklang ein raschelndes Geräusch; es schien, als wenn sich irgendetwas im Sarg regen würde. Franziska trat besorgt zurück. Sie war schon kurz davor, den Hammer fortzuwerfen und die Stufen heraufzulaufen, als Woislaws seine Stimme kraftvoll anhub. Es klang so ermutigend, dass sie eine Art von Erregung verspürte, als würde sie die Höhle eines Löwen betreten. So ging sie zum Sarg zurück, bestrebt, die Dinge zu einem Ende zu bringen. Sie wusste kaum, was sie tat, als sie den zweiten Nagel mitten in den Deckel trieb, bis nach einigen Schlägen nur noch der Kopf zu sehen war. Die Geräusche aus dem Sarg hatten jetzt bedenklich zugenommen. Es klang, als wolle eine lebende Kreatur aus dem Sarg ausbrechen. Dieser wurde hin und her geworfen; er splitterte an allen Seiten. Halb abgelenkt nahm Franziska den dritten Nagel; sie dachte nicht länger an ihre Leiden, sie wusste nur noch, dass sie sich in schrecklicher Gefahr befand, welcher Art, konnte sie indes nicht ahnen. Voller Schmerzen, die drohten sie ihres Verstandes zu berauben, während der Sarg aufgrund der Stöße im Inneren beinahe sprang und ein tiefes Ächzen zu hören war, schlug sie den dritten Nagel ebenso tief ein. In diesem Moment begann sie, ihr Bewusstsein zu verlieren. Sie wünschte, sie könnte davoneilen, aber taumelte. Mechanisch griff sie nach irgendetwas, um sich festzuhalten. Sie fasste die Ecke des Sarges und sank besinnungslos neben demselben zu Boden.
Als eine Viertelstunde verstrichen war, öffnete sie wieder ihre Augen. Sie sah sich um. Über ihr war der Sternenhimmel und der Mond, der sein Licht über die Ruinen und die Wipfel der alten Eichenbäume fließen ließ. Franziska lag außerhalb der Kirchmauern. Woislaw hielt neben ihr kniend ihre Hand in seiner.
»Der Himmel sei gepriesen, Ihr lebt!«, rief er vor Erleichterung seufzend aus. »Ich begann zu zweifeln, ob das Heilmittel nicht zu harsch war, obschon es die einzige Möglichkeit Euch zu retten war.«
Franziska kam nur langsam wieder völlig zu Bewusstsein. Die Vergangenheit schien ihr wie ein furchtbarer Traum. Nur wenige Herzschläge zuvor, da gab es diese schreckliche Szene, und jetzt war alles so ruhig. Sie wagte kaum, ihre Augen zu heben, und schauderte, als sie sah, dass sie nur wenige Schritte von dem Ort entfernt lag, an dem sie diese grausamen Qualen durchleiden musste. Bald lauschte sie halbwach den an sie gerichteten, beruhigenden Worten Woislaws, bald dem Pfeifen des Dieners, der bei den Pferden stand. Um sich die Zeit zu vertreiben, ahmte er das Abendlied eines säumigen Kuhhirten nach.
»Lasst uns gehen«, flüsterte Franziska. Sie versuchte sich aufzurichten. »Aber was ist das? Meine Schulter ist feucht, meine Kehle, mein Hals –«
»Es ist wahrscheinlich der Abendtau vom Gras«, sagte Woislaw sanft.
»Nein – es ist Blut!«, kreischte sie mit vor Panik schrillem Ton. »Seht, meine Hand ist voller Blut!«
»Oh, Ihr irrt Euch – Ihr müsst Euch irren«, stammelte Woislaw. »Oder vielleicht hat sich die Wunde in Eurem Halse wieder geöffnet! Bitte fühlt, ob dies der Fall ist.« Er ergriff ihre Hand und führte sie an jenen Fleck.
»Ich fühle nichts, Ich fühle keinen Schmerz«, sagte sie endlich mit leichtem Zorn in der Stimme.
»Dann habt Ihr Euch vielleicht an einer Ecke des Sarges gestoßen, als Ihr das Bewusstsein verlort, oder Ihr habt Euch an einer Nagelspitze verletzt«, schlug Woislaw vor.
»Oh, an was erinnert Ihr mich da!«, rief Franziska schaudernd. »Fort, lasst uns fortreiten! Ich flehe Euch an, kommt! Ich mag nicht einen Atemzug länger an diesem schrecklichen, schrecklichen Ort bleiben.«
Sie schritten den Pfad schneller hinab, als sie ihn hinaufgekommen waren. Woislaw setzte seine Begleiterin auf ihr Pferd, und wenig später ritten sie nach Hause.
Als sie sich der Burg näherten, begann Franziska ihrem Beschützer Fragen über ihr vorangegangenes Abenteuer
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