- Lasst die Toten ruhen
Zeichendeuterin deinen Willen, deine Vernunft aufopfern!«
»Habe Mitleid mit mir; schilt mich nicht!«, flehte Florentine, und der Zürnende konnte ihr nicht widerstehen.
»Siehst du das grobe Spiel nicht durch?«, fragte er weit milder. »Meine Gestalt erschien ihr nicht, weil sie mich nicht kennt und fürchtete, ihre Allwissenheit möchte wegen meinem Signalement ins Gedränge kommen. Sie verschob den Tag unserer Verbindung um einige Monate, um während dieser Frist dich öfters bei sich zu sehen und den goldenen Opferpfennig zu gewinnen.«
»Möglich!«, versetzte Florentine und strich schmeichelnd die Falten von del Canes Stirne. »Ich gestehe mein Unrecht; werde nun aber wieder freundlich; entschuldige mich … Vergib mir diese Schuld … kein Sterblicher ist ja rein von Fehl!«
»Wahrlich nein!«, sprach Angelo zurücktretend, und finsterer Ernst stieg auf sein Antlitz. »Du hast wahres Wort geredet; es wirft den Pfeil des Vorwurfs in meine Brust.«
»Angelo!«, rief Florentine staunend über seine Bewegung. – Del Cane fuhr aber erschüttert fort, indem er ihre Hand heftig in der seinen drückte:
»Ich … ich soll dir vergeben? Heilige! Vergib du meine Schuld.«
»Du bist in gewaltsamer Bewegung, mein Angelo«, erwiderte Florentine, ihm vertrauend ins Auge blickend. Es ergreift dich öfters also. Deine lebendige Fantasie entrückt dich dann dem engen Leben. Komm zu dir, ich habe dir nichts zu verzeihen, dir nicht, der in stiller Tugend mein Vorbild war. Und hätte ich dir etwas zu vergeben … o wie gerne!«
»Herrliches Weib!«, rief del Cane, und Tränen schossen in seine Augen. »Dies Vertrauen, diese himmlische Sanftmut, dieser Glaube … Diese Welt belohnt sie nicht!« –
»Ich verlange dein Herz«, antwortete Florentine schwärmerisch, »es wiegt eine Welt auf … so«, – fuhr sie durch Tränen lächelnd fort, – »so; nun bist Du wieder mein Angelo! Mein Freund! Mein Verlobter! Denn deine Augen sehen freundlich auf mich und nicht so finster, nicht so starr und kalt wie vorhin. – Ich fürchte mich, wenn du so durchdringend auf mich niederschaust, und seit gestern kann ich diesen Blick nicht mehr ertragen.«
»Warum seit gestern, mein Leben?«, fragte Angelo schmeichelnd.
»Hast du vergessen, böser Mann«, sprach Florentine weiter, »dass du gestern die ganze Gesellschaft in banges Staunen versetzt hast, durch deine Bemerkung über die Augen? Auch mich, und ich muss unwillkürlich an deine Worte denken, wenn du mich lange und starr ansiehst; ein frostiges Grauen überfällt mich …«
»Wie bei dem Anblick eines Toten … nicht wahr?«, fragte Angelo wehmütig lächelnd. – »Sprich es nur aus«, fuhr er fort, als sie verstummte. »Meine Blässe … ich erschrecke oft selbst vor mir, wenn ich abends in den Spiegel schaue … ach! Ich war nicht immer so!«
»Mein geliebter Angelo!«, bat Florentine. »Weg mit diesem Trübsinn. Ich Unbesonnene! Wie konnte ich auch …«
»Auch auf meinen Wangen blühten Rosen …«, seufzte Angelo, ohne auf sie zu achten, »drei unglückliche Tage haben sie auf ewig hinweggehaucht, auf ewig …« –
»Du sprichst wieder von deinen Leiden«, versetzte Florentine. »Die Liebe hat dich so oft um Mitteilung gebeten … Du hast sie stets versagt. Gewähre ihr endlich diese Bitte …«
»Was verlangst du?«, fragte del Cane schwankend.
»Gewähre!«, fuhr Florentine dringend fort. »Sprich und dein Verlangen, deiner Wünsche erster sei erfüllt!«
»Wie?«, rief Angelo plötzlich hell aufsehend. »Du wolltest …?«
Schamrot barg sie ihr Gesicht an seiner unruhig pochenden Brust.
»Weib!«, setzte er dann hinzu, sie plötzlich verfinstert von sich weisend, »Du willigst ein, der Prophezeiung zum Trotze, die Meinige zu werden, morgen, heute, in dieser Stunde schon … Diesen Preis, um den dich vor ein paar Minuten meine Liebe vergebens bat, wirfst du der Neugier zum Opfer hin? Mache dir kein Verdienst daraus und danke es mir, wenn ich es nicht annehme und dir die Qual erspare, einen Stachel dafür einzutauschen, der dein Leben verwunden würde. – Nimmermehr. Gräber sollen nicht zu der myrtenbekränzten Braut sprechen! … Lass mich schweigen.« –
»Du sprichst in Rätseln«, erwiderte Florentine und streichelte ihm begütigend die Wange. »Ich gehorche dir aber dennoch gerne, denn Böses hast du nicht zu verhehlen. Weg mit dieser neuen Wolke von der Stirn. Du siehst ja, wie ich dir vertraue. Bewahre dein Geheimnis, bis du einst freiwillig das
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