- Lasst die Toten ruhen
Siegel lösest.«
»Das springt nur mit meinem Tode, so Gott will!«, sprach del Cane. »Wenn ich?«, – hier ward seine Stimme unsicherer, – »wenn ich einst auf der Bahre liege … dann … sollen meine Schriftzüge dir enthüllen, was meine Zunge auszusprechen nicht vermag … dann …«
»Grausamer!«, klagte Florentine mit tränennassen Augen. »Schweige! Weg mit diesen schwarzen Gedanken. Ich will in deinen Armen entschlummern …«
»Um Himmels willen, nein«, fuhr Angelo entsetzt auf. »Das wolle der Allmächtige nicht. Ich sollte meine letzte Stunde unter Mietlingen erwarten, nicht gewiss sein, dass eine treue Seele mich überlebt, die meinen letzten Willen heilig befolge? Es wäre grässlich! … Nein! Du musst leben, mir die Augen schließen, mich beobachten tagelang … hörst du? Und erst dann, wenn die Verwesung in ihr Recht tritt … o Florentine! Schwöre mir das … erst dann mich der Erde übergeben … hörst du? Erst dann …«
»Woher diese Angst, mein Angelo?«, rief Staunen im Blick die sorgliche Braut. »Besinne dich! Du stehst noch unfern der Pforte des Lebens und sprichst schon vom Grabe?«
»Wer kann wissen, wie nahe es ihm ist?«, fragte Angelo, scheu um sich blickend, »Aber ich fürchte es nicht, wenn du mir schwörst, was ich verlange, denn es ist grässlich, wenn …«
Der kleine Julius erwachte, dehnte seine Ärmchen, blickte auf Florentine und rief den süßen Mutternamen! Vom heiligen Gefühl gerufen, verließ Florentine den Geliebten und kauerte sich neben des Sohnes Wiege nieder. Angelo beugte sich still und freundlich über die Gruppe. Der Knabe gewahrte seiner, lächelte und zog mit frohem Winken des wohlbekannten Freundes Haupt herab zu sich und zu der Mutter. »Lieber Vater! Liebe Mutter!«, stammelte der Unmündige. Angelos Lippen fanden Florentines Mund, und in dem herzlich erwiderten Kusse entschwanden Furcht und Besorgnis. – Die ganze dunkle Vergangenheit starb in dem seligen Augenblicke der Gegenwart.
* * *
Ein Geräusch weckte die Seligen. Der Herr von Eschen stand hinter ihnen. Seine Anwesenheit scheuchte die Glücklichen in die Schranken der Convenienz zurück. –
»Warum so erschrocken, meine Schwester?«, fragte er, wie verlegen sich die Hände reibend, »wenn man recht tut, so hat man sich nicht zu scheuen, nicht wahr, mein lieber Schwager in Hoffnung?« –
»Allerdings«, versetzte del Cane, über den unzeitigen Spott missvergnügt. »Dass uns bald die heiligen Bande vereinigen werden …«
»So pränumeriert [32] man indessen auf das eheliche Glück?«, fiel der Baron ein und zog das Gesicht in widrige Falten. – »Nichts ist natürlicher, nichts zu gleicher Zeit rührender. An dieser Wiege kniend, vor dem kleinen Engel da vereint, … der Bube wird täglich hübscher … wenn er nur keinen Wasserkopf bekommt …«
»Um Gottes willen!«, rief die ängstliche Mutter. »Kannst du glauben?«
»Noch ist nichts zu glauben«, erwiderte der Baron. »Die Natur arbeitet lange still und heimlich an der Zerstörung ihres Werks, bis sie dem Forscher klar wird … Aber … darf man nach Vermutungen gehen, so dürfte diese vorspringende Stirne …«
»O schweige, Unglücksherold!«, schrie Florentine, riss ihr Kind aus der Wiege und eilte mit ihm in das Nebenzimmer. Eschen sah ihr staunend nach. Del Cane aber, der seinen Unmut nicht unterdrücken konnte, sprach zu ihm: »Sehen Sie: So flieht jede Frau den Weg, den Sie gehen, weil Sie den süßen Becher mit Myrrhen würzen …«
»Wer schilt mich darum?«, fragte Eschen und maß seinen Gegner mit bohrendem Blicke. »Tue ich nicht recht? Ist das Leben nicht ein Spittel [33] ? Der Sterbliche nicht ein allen Plagen und Foltern preisgegebener Siechling? Gebiert ihn der Schoß der Mutter zu etwas anderem, als früh oder spät dem Schoß der allgemeinen Mutter wiedergegeben zu werden? Was tut er in der Spanne Zeit zwischen Erwachen und Einschlafen? … Er pflanzt sein erbärmliches Geschlecht fort, das mit jeder Generation erbärmlicher reift. Verlohnt sich das der Mühe zu leben? Tut man also nicht wohl daran, die Affenfreude der Mütter zu demütigen, indem man das endliche Ziel ihrer Sprösslinge ihnen nahe setzt?« –
»Welche Wohltat!«, rief del Cane empört, »das Herz einer Mutter zu brechen!«
»Was das Kraut nicht heilt, heilt das Eisen oder das Feuer! Härte ist wohltätig: Wohltätig auch der Wunsch, dass jeder keimende Mensch erstarren möge im Werden. Dieser Rückfall in das Nichts erspart ihm
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