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- Lasst die Toten ruhen

- Lasst die Toten ruhen

Titel: - Lasst die Toten ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kotowski
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ein halbhundertjähriges Leiden. Jede Fehlgeburt ist ein mit Protest zurückgesandter Wechsel auf die Nachwelt. Wollte der Himmel, es würden fürder nur solche Wechsel gezogen. Dann hätte ich die Freude, das verdorbene Geschlecht verfallen zu sehen, hätte nicht zu fürchten, vielleicht eine Frucht aus Ihrer Verbindung mit Florentinen zu erleben.«
    »Herr!«, zürnte ihm Angelo entgegen. »Dieser Wunsch … diese Tücke … Sie sollten Ihnen teuer zu stehen kommen, wüsste ich nicht, dass Sie nur ein Tor sind … ein grausamer, boshafter Tor!«
    »Ein Tor?«, fuhr Eschen grimmig auf und packte ihn fest beim Arme, ihm stier ins Gesicht schauend. »Hat der Narr den Vernünftigen wieder einmal Toren genannt? Wenn ich mein Skalpell bei mir trüge, wollte ich dir die Kopfhaut abziehen, um deinem Gehirne mehr Luft zu verschaffen; leichenblasser Freiwerber, der dem Tode aus dem Garne gelaufen scheint … wiederhole noch einmal das Wort! Nenne mich noch einmal einen Toren!«
    »Lasse mich, Elender!«, donnerte del Cane und schüttelte den Verrückten von sich. Florentine, die den heftigen Wortwechsel gehört hatte, stürzte bittend und klagend zwischen die Erzürnten.
    »Mäßigung, Friede!«, bat die Erschrockene. Del Cane aber griff nach dem Hut.
    »Mäßige den aberwitzigen Toren, deinen Bruder, der mich seine tollen Schwindeleien will entgelten lassen. Du siehst mich nur dann wieder, wenn du einwilligst, endlich die Meine zu werden und dich der vernunftlosen Tyrannei dieses Menschen zu entreißen!«
    »Unbarmherziger Bruder!«, jammerte Florentine. »So kannst du deine Schwester betrüben? So ihres Herzens Gefühle misshandeln?«
    »Ich hasse den Italiener!«, murrte Eschen vor sich hin.
    »Warum?«
    »Das begreifst du nicht, Florentine. Es ist etwas in dem Menschen, das nicht geheuer ist. Es drückt mir die Brust ein, wenn ich dich in seinen Armen sehe. Als ich vorhin ins Gemach trat, war mir’s, als ruhe der Mund eines bleichen Vampirs auf deiner Schläfe und sauge dir das Blut aus dem Gehirne.«
    Florentine schauderte. –
    »Er kömmt mir vor wie ein böses Gespenst«, fuhr der Herr von Eschen fort. »Nur ein künstliches Treibhausleben scheint in ihm zu arbeiten.«
    »Halt ein, Bruder!«, seufzte Florentine. »Stecke mich nicht an mit deinen krankhaften Ideen … damit …«
    »Ich bin nicht krank«, versetzte ihr Bruder, »auch nicht verrückt, wie mich jener nennt. Das Schicksal meiner Ahnen trifft mich nicht, denn ich setze tiefes Studium dem Erbgebrechen entgegen. Toll werde ich nie; ein jäher Tod hingegen kann jeden treffen. Du weißt es nicht«, fuhr er fort, die Schwester bei der Hand fassend und neben sich auf die Ottomane ziehend, »wie bald es um den Menschen getan ist. Darum sei ihm auch kein Zweck so gering, dass er nicht keck das Leben daransetze. Der nächste Atemzug kann es ihm ja rauben. Ihr Laien in der Kunst ahnt es nicht, dass ihr beständig zwischen Sein und Vernichtung schwankt. Ihr fühlt das Pochen Eures Herzens, das Klopfen Eurer Pulse, mit jedem überstandenen Herzschlage ist eine Lebensgefahr vorüber – der folgende bringt auch eine neue. Der Kreislauf des Blutes strömt ab und zu und in jedem Gelenk, bei jeder Drüse, in jeder Aderpforte und Schleuse lauert der Tod. Ein Krampf, ein Gegendruck, ein Nichts … und die Maschine stockt. Das haben die Weisesten unserer Kunst erlauscht, das wissen wir, ihre Jünger. Ich habe meine Zeit benützt, gleich dem ärmsten Schlucker, der um’s tägliche Brot den Puls fühlt und die Zunge besieht; darum kann ich nicht verrückt sein, nie es werden. Besondere Vorstellungen sind hin und wieder in mir entstanden, das gestehe ich, aber bis zum Tollwerden ist davon noch weit. Das Studium der Anatomie, in der man lernt, den menschlichen Leib mit Messern zu durchwühlen wie der Bergmann den ergiebigen Erzschacht mit der Haue, hat mich angezogen, ergriffen und närrische Ideen in mir erzeugt, über die ich öfters lachen möchte, wäre nicht das Lachen meiner Natur zuwider.«
    »Mich dünkt, ich höre meinen Julius rufen!«, unterbrach ihn Florentine, von Grauen befangen, und wollte sich entfernen. Eschen hielt sie aber zurück.
    »Nicht doch«, erwiderte er begütigend. »Der Kater steigt jetzt auf’s Dach zu seinem Liebchen und lockt sie mit der Stimme des weinenden Kindes. Bleib immerhin. Ich bin gemütlich geworden an deiner Seite und in der stillen Dämmerung plaudert es sich so gut. Bleib, meine liebe Schwester und höre mir zu.« –
    Florentine

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