Lasst uns froh und grausig sein
mich: »Feger!«
Ich möchte auf den Namen nicht hören, denn ich heiße ganz anders. Gleichwohl kann ich mich an meinen früheren Namen nicht mehr erinnern. Also bleibt’s bei Feger. Huch, ich komme vom Thema ab. So viel möchte ich aber dennoch hinzufügen: Ich fege nichts. Mein Fell ist kurz, schlecht gepflegt, aber bei meiner Situation, was wollen Sie machen… Mein Schwanz ist kurz. Mit Verlaub, der Schwanz, der wedelt. Der andere? Von dem spreche ich hier nicht. Diskretion. Meine Ohren sind ebenfalls kurz, dafür erfüllen sie auch die Aufgabe, für die sie erzeugt wurden, prächtig, was man bei manch anderem Zeitgenossen nicht sagen kann. Der Koch hört nicht mal die Ratten, die den gelben Sack mit dem Plastikmüll anknabbern. Übrigens heißt der Kerl Sladko, und da lob ich mir sogar noch Feger.
Während ich eines Nachmittags in der Fußgängerzone so um die Glühweinstände herumschlich und die Einkaufstüten abschnüffelte, kam ich auf die Idee mit dem Geschenk. Mit dem komischen roten Gesöff im Bauch und im Kopf kriegen manche Menschen das gar nicht spitz, wenn ihre Tüten aufgeknabbert werden. Auf diese Weise organisierte ich eine Wurst für Kater Roy und ein paar Kleinigkeiten für mich persönlich, um meine Vorratshaltung auf Vordermann zu bringen. Einmal wurde ich entdeckt. Das war genau auf der Alten Rathausbrücke, wo die Leute immer stehen bleiben, um die tolle Aussicht auf Klein Venedig zu bewundern. Die Sache war peinlich. Mein kurzer Schwanz hat mich gerettet (der zum Wedeln!) und außerdem ein scharfes Bellen in die richtige Richtung. Dann stromerte ich ein paar Tage nicht dort herum.
Aber die Wurst schmeckte gut und Roy freute sich. Die Schnurris sind ja sehr eigen, aber Roy hat erstens Manieren und kennt zweitens die Realität. Mit seinen zweiundzwanzig hat er die besten Jagdzeiten hinter sich. Selbst die langsamste Blaumeise schlägt ihn um Längen. Wahrscheinlich wird Roy es nicht mehr lange machen. Wir philosophierten über das Leben und das Sterben und wie man das eine wie das andere erträglich machen könnte. Am 22.12. sprachen wir außerdem über Geschenke. Wie wir drauf kamen? Na klar, Frauen. Roy berichtete von einer seiner früheren Flammen. Er hatte ja Frauen noch und nöcher. Und wie gerne er sie wiedersehen wollte und ihr eine Maus bringen. Nur eine kleine, müde Maus. Ich sagte was von den Ratten, die sich manchmal aus Gier vor der Pizzeriaküche gegenseitig totbeißen, und ob so eine Ratte nicht ein angemessener Ersatz sein könnte, aber davon wollte Roy nichts wissen.
Wir machten noch ein wenig höfliche Konversation, dann zog ich von dannen. Geschenke. Und Frauen.
Der Punkt war nämlich, dass ich seit Oktober eine neue Liebe ausgeguckt hatte. Eine Schönheit, groß und schlank, verträumt und von außergewöhnlicher Sehnsucht im Herzen. Wie ich das feststellen kann? Meine Art kann. Glauben Sie es oder nicht. Aber Menschen meinen ja immer, ihr mit Bier, Pizza, Glühwein und Plätzchen abgefüllter Körper sei das einzige Geistesgefäß auf der Erdkruste. Sie täuschen sich, Herrschaften, Sie täuschen sich. Egal. Ich hatte mich im Oktober verliebt, im November mein Herz vollkommen verloren, und im Dezember litt ich die Höllenqualen der Verliebten.
Ahnen Sie das Problem?
Ich hatte mich in eine Menschenfrau verguckt!
O ja, Roy redete mir ins Gewissen. Kann nicht gut gehen. Unüberbrückbare Gegensätze. Ihm gegenüber tat ich dann so, als hätte sich die Sache von selbst erledigt. Aber im Herzen, im heißen, klopfenden Herzen… da liebe ich ihre Waden so sehr, ihren geblümten Rock, ihre ausgeflippten Wollmützen. Sie riecht nach Lavendel und Jasmin.
Sie heißt Nelly. Nelly kommt immer per Fahrrad. Sie hat einen Job, und zwar verteilt sie die Stadtmagazine. Sladko sammelt die Hefte ein, öffnet die Mülltonne und schmeißt sie rein. Einer wie Sladko ist das Papier nicht wert, auf dem die Texte gedruckt sind. Er kann wahrscheinlich nicht lesen, nicht mal, ob Vongole auf der Packung steht oder Bami Goreng. Sein Körpergeruch besteht aus einer Mixtur aus rohem Fleisch, Schweiß und etwas anderem, männlichem, das wahrscheinlich täglich mehrmals aus ihm rausplatzt. Am allerwenigsten ist er aber den Abdruck von Nellys Hand wert, deren Spur ich noch Tage später rieche. Wenn das Stadtmagazin im Müll liegt, springe ich gegen die Tonne, bis sie umfällt, schnappe mir so viele Zeitungen wie möglich – die Pizzeria kriegt immer gleich einen ganzen Stapel – und ziehe mich
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