Last days on Earth: Thriller (German Edition)
meinem Inneren, und der glaubt fest daran, dass eines Tages der ganze Spuk zu Ende sein wird. Und es wird ein Ende sein, wie es dieser Welt gut zu Gesicht steht: laut, schrill und grotesk, unter Feuer und Blut, Sturmfluten, Kometeneinschlägen und Vulkanausbrüchen, Heuschreckenplagen, Erdbeben und in sich zusammenstürzenden Hochhäusern. Ein Knall, kein Winseln.«
Raoul legte den Kopf an die Lehne seines Sessels und grinste. »Quass, du bist ein Romantiker.«
Der Drache trank und lächelte. »Aber sieh dich doch um, mein skeptischer Freund. Seit der Jahrtausendwende läuft das Untergangsprogramm schon auf vollen Touren. Atomkraftwerke, die außer Kontrolle geraten, in Hochhäuser rasende Flugzeuge, Flutwellen, die ganze Küstenstriche verwüsten, Seuchen, Terroranschläge, Kriege, Hungersnöte …«
»Hör auf«, rief Raoul. »Gleich erzählst du mir, dass du mit dem Weltuntergang nach dem Maya-Kalender rechnest. Die Lange Zählung endet am 21. Dezember – an diesem Tag werden die Sterne vom Himmel fallen und alles vernichten, und die Götter werden weinen.« Er lachte laut.
Der Drache sah ihn ernst und ein wenig traurig an. Raoul verging das Lachen. »Du verkohlst mich.«
Der Drache senkte die Lider. »Nein«, sagte er trocken. »Wenn ich dich verkohlt hätte, könntest du ja wohl schwerlich noch mit mir sprechen.«
Er wich ihm aus, und das war Antwort genug. Raoul schnaubte. »Lass uns das Thema wechseln«, sagte er. »Ich glaube, du bist betrunken, alter Junge.« Der Drache erwiderte nichts darauf.
Einige Minuten sprachen sie über unverfängliche Themen. Quass wie auch Raoul waren der Meinung, dass die bevorstehende Änderung des Grundgesetzes, die auch Nichtmenschen und Untoten die gleichen Rechte wie allen anderen Bürgern des Landes verschaffen sollte, mehr als überfällig war. »Ich zahle Steuern, und ich habe einen Lehrstuhl an einer privaten Universität inne, also warum darf ich nicht wählen oder ein politisches Amt anstreben?« Quass stieß einen kleinen, aufgebrachten Funkenschauer aus. Das war ein Thema, über das er sich schon seit Jahren aufregte.
Das Gespräch wandte sich dem Wetter zu, schwenkte dann zu einem alten Bordeaux, den Quass vor ein paar Tagen auf einer Auktion erstanden hatte und der jetzt im Keller zur Ruhe kam. Er lud Raoul zur Verkostung ein, und der Magier sagte zu.
Dann schwiegen sie, bis Raoul leicht auf die Armlehnen schlug und sagte: »Ich schwanke mal nach Hause.«
Quass, der in Gedanken weit weg gewesen war, richtete seinen Blick auf seinen Gast und sagte unvermittelt: »Ehe du gehst – wie steht es um dein Liebesleben, Freund Raoul?«
Raoul ließ sich schwer zurücksinken und starrte den Drachen an. »Wie bitte?«, fragte er verblüfft.
»Entschuldige, das war höchst indiskret von mir. Aber du wirkst ein wenig unausgeglichen. Bei euch Menschen ist das gewöhnlich ein Zeichen dafür, dass …«
»Quass, bitte!«, fuhr ihm Raoul dazwischen. »Du taugst nicht zum Seelenklempner. Ich bin wohlauf, mir fehlt nur Brad.«
»Brad«, wiederholte der Drache in ungläubigem Ton. »Aber ich bitte dich, Raoul. Er ist ein Daimon. Du solltest froh sein, dass du ihn so unkompliziert losgeworden bist.«
»Du verstehst das nicht. Wir Menschen sind begrenzte Wesen. Daimonen ermöglichen uns, diese Grenzen ein Stück zu dehnen. Ein Daimon sammelt Wissen in jeder Form. Unbegrenztes Wissen, Informationen über jedes Ding, jeden Menschen, jedes jemals geschriebene Wort … Wissen!« Seine Stimme war lauter geworden, und seine Hände klammerten sich fest um die Armlehnen.
Der Drache ließ ihn nicht aus den Augen. »Du bist ein Informationsjunkie«, sagte er langsam.
»Ja, verflucht!«, schrie Raoul. »Das bin ich! Ich trage diesen Daimon in mir, seit ich siebzehn bin. Was erwartest du?«
Er fuhr sich mit einer fahrigen Geste über die Augen. »Verzeih«, murmelte er. »Ich bin wirklich ein wenig unausgeglichen. Brad hätte längst wieder bei mir sein müssen, und ich habe Sorge, dass er meiner überdrüssig geworden ist.«
»Raoul«, unterbrach Quass ihn sanft, »wahrscheinlich lässt er dich nur ein bisschen zappeln. Daimonen nähren sich von Emotionen, und je stärker diese ausfallen, desto stärker …«
»Desto stärker werden sie«, vollendete Raoul grimmig.
»Seit deinem siebzehnten Jahr, sagst du?« Der Drache tippte mit einer Kralle gegen sein Glas, das leise zu singen begann. »Das sind schon zwanzig Jahre. Du hältst erstaunlich lange stand.«
»Lass uns das
Weitere Kostenlose Bücher