Last days on Earth: Thriller (German Edition)
schloss die Tür hinter sich und atmete aus. Magdalena war eine Perle, aber sie strengte ihn an. So gut wie alle Menschen strengten ihn an.
Er griff spontan zum Telefon und wählte. Als der Angerufene sich meldete, sagte er: »Quass, ich habe Sehnsucht nach einem intelligenten und gebildeten Gesprächspartner. Bist du heute Abend zu Hause?«
Der andere lachte. »Wenn du eine Partie Backgammon mit mir spielst, gerne. Möchtest du auch etwas essen? Soll ich Horace bitten, dir eine dieser schrecklichen totgekochten Widerwärtigkeiten zu bereiten, auf die ihr so großen Wert legt?«
»Nein, danke«, wehrte Raoul hastig ab. »Um neun?«
»Um neun.«
Raoul lächelte. Seine Laune hob sich. Ein Abend mit einem amüsanten Gesprächspartner – das war es, was er brauchte.
Raoul lehnte sich in seinem bequemen Sessel zurück, wärmte den Cognacschwenker zwischen den Händen und streckte die Füße zum Feuer, das in einem zimmergroßen Kamin brannte. Ihm war warm, viel zu warm, vom Feuer und von dem Cognac, zu dem sie inzwischen übergegangen waren, aber die Wärme füllte ein wenig die Leere in seinem Inneren. Er war müde, zufrieden und nicht mehr ganz nüchtern.
Sein Gastgeber hatte sich elegant dicht vor dem Kamin zusammengerollt und hielt sein Glas behutsam zwischen seinen Klauen. Sein langes, geschupptes Gesicht mit den kugeligen violetten Augen war so ausdruckslos, wie es ein Reptiliengesicht nur sein konnte, aber Raoul glaubte einen Hauch von Sorge darin lesen zu können.
»Was ist, alter Junge?«, fragte er. »Du hast doch was auf dem Herzen. Komm, spuck es aus! Der liebe Onkel Raoul hört dir zu.«
Der Drache wandte langsam den Kopf und sah ihn belustigt an. »Du bist betrunken, Raoul, mon cher.«
Raoul bemühte sich vergeblich um eine empörte Miene. »Ich bin allenfalls ein wenig angeheitert, Quass. Wenn überhaupt!«
Der Drache nippte an seinem Cognac. Die Funken, die aus seinen Nüstern sprühten, entzündeten den Alkohol und ließen bläuliche Flammen über die Oberfläche tanzen. Sie spiegelten sich in den Drachenaugen, deren schwere Lider halb gesenkt waren. Der Drache drehte das Glas mit klickenden Geräuschen zwischen den Klauen. Raoul sah gebannt zu. Es faszinierte ihn immer wieder, wie behutsam Quass von Deyen mit fragilen Gegenständen umzugehen verstand.
Der Drache wohnte in einem riesigen Penthouse, das auf dem Dach eines fünfzehnstöckigen Bankgebäudes thronte. Quass leugnete, seit Raoul ihn kannte, dass die Bank unter seinem Haus ihm ebenfalls gehörte. Er bezeichnete sich selbst als Privatier und Mäzen der Künste. Auch wenn er ein Drache sei – schnöde Geldgeschäfte seien seine Sache nicht, hatte er einmal geklagt. Raoul wisse doch, dass er Sammler, Schöngeist und Menschenfreund sei – alles Dinge, die im krassen Gegensatz zu Wucherbetrieb und Zinshandel stünden.
Raoul hatte nicht nachgebohrt. Es stimmte, Quass war ein Freund der Menschen, was man nicht von jedem Drachen behaupten konnte. Es hieß, dass er sogar der legendäre Gründer des »Dragons Club« gewesen sei – eines der größten und einflussreichsten Wohltätigkeitsclubs weltweit. Es passte zu Quass, dass er das Gerücht weder dementierte noch bestätigte.
»Dir liegt etwas auf der Seele«, sagte Raoul so gleichgültig wie möglich. Drachen mochten es nicht, bedrängt zu werden. Sie waren Meister im Verschleiern und Herunterspielen.
Quass beugte sich vor, um Raoul nachzuschenken, aber der legte eine Hand über sein Glas. »Ich möchte noch ein wenig klaren Verstand behalten«, sagte er. »Erzähl schon. Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, dass du etwas loswerden willst.«
Der Drache schnaubte. Funken stoben aus seinem Maul und landeten im Kamin.
»Ich bin bestohlen worden«, sagte Quass von Deyen. Er klang nicht zornig, eher verwundert, was Raoul verstehen konnte. Welcher Dieb war so tollkühn, ausgerechnet einen Drachen zu bestehlen?
»Was ist es?«, fragte Raoul. Quass besaß eine Menge Stehlenswertes. Allein hier im Rauchzimmer befanden sich etliche Kunstgegenstände, die ein Museum nur unter schärfster Bewachung ausgestellt hätte. Da war eine Vitrine mit Kelchen und Pokalen aus Muranoglas aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert und ein Tisch mit kostbaren Uhren. Zwei der Landschaftsbilder an den Wänden stammten aus der Flämischen Schule und besaßen unschätzbaren Wert. An der Stirnwand des Raumes stand ein Bücherregal, das angefüllt war mit bibliophilen Schätzen, und auf der anderen Seite
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