Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Raoul sie geführt hatte, einige Klassen über ihrem Lieblingschinesen angesiedelt war. Das »I Pagliacci« lag in einer ruhigen Seitenstraße in der Nähe des Parks.
»Abends bekommen Sie hier ohne Reservierung keinen Tisch«, bemerkte Raoul, der den Blick auffing, mit dem sie den Gastraum musterte. Das Ambiente war ebenso gehoben wie die Preise, die sie nur kurz hatte sehen können, als der Kellner Raoul eine Karte reichen wollte. Ihre eigene Karte bot keinerlei Information über solche uninteressanten Details wie die Kosten eines Menüs. Karla hatte sich darüber beschwert, aber Raoul hatte lächelnd geantwortet, er sei verabredungsgemäß an der Reihe und außerdem seien Nevio, der Padrone, und seine Frau alte Freunde.
Besagter Padrone kam dann auch selbst an den Tisch. Er war klein und rundlich, beinahe kahl und strahlte wie die Sonne, als er Karla die Hand reichte. »Wie schön, wie schön«, sagte er enthusiastisch. »Caro amico, ich freue mich, dass du endlich einmal nicht alleine kommst. Was darf ich bringen? Womit kann ich dich und deine schöne Begleiterin glücklich machen?«
»Wir verhungern, Nevio«, erwiderte Raoul. »Hast du etwas, das schnell geht?«
Der Padrone lächelte sie und dann Raoul an und erwiderte vergnügt: »Lasst euch überraschen.«
Kaum war er fort, stand auch schon der Kellner wieder an ihrem Tisch und servierte einen riesigen Antipasti-Teller.
Karla seufzte vor Entzücken. »Wenn wir den geschafft haben, brauchen wir kein Hauptgericht mehr.«
Das Essen war so gut, wie die Ausstattung des Lokals hoffen ließ. Karla genoss jeden Bissen der köstlichen Vorspeisen, jeden Schluck Wein, jede Gabel Pasta, jeden Happen Fisch, jedes Löffelchen Dessert, als wäre es das letzte Essen, das sie in ihrem Leben bekommen würde.
»Sie haben nicht zu viel versprochen«, sagte sie endlich, als ein dampfender Espresso vor ihnen stand. »Jetzt laufen wir nicht mehr Gefahr, dass ich Ihnen vor lauter Hunger die Nase abbeiße.«
Er stützte das Kinn auf die Hand und sah sie an. »Nevio hat recht«, sagte er.
Karla ging auf die Bemerkung nicht ein. Sie blätterte in ihrem Notizbuch. »Sie brauchen so was nicht, oder?«
»Nein.« Karla spürte seinen intensiven Blick und wich ihm konsequent aus. »Wir sollten besprechen, wie wir weiter vorgehen.« Nun sah sie doch auf. Raouls Blick richtete sich an ihrem Ohr vorbei in die Ferne, er schien in Gedanken Lichtjahre entfernt zu sein.
Karla betrachtete ihn. Wenn er so aussah, kommunizierte er mit Brad – so gut kannte sie ihn inzwischen. Seine Miene verdüsterte sich langsam, er griff nach dem Glas Grappa, das er zuvor beiseitegeschoben hatte, und trank es in einem Zug aus.
»Gut«, sagte er unvermittelt und fokussierte seinen Blick wieder auf Karla. »Ich bin gleich wieder da.«
Raoul ging durch die Schwingtür, grüßte Gennaro, den Koch, der zwischen Töpfen und Pfannen in Kochschwaden stand, und öffnete dann die Tür, die in den hinteren Küchenbereich führte. Er schloss sie sorgfältig hinter sich, fühlte einen kurzen Moment der Beklemmung in der engen Schleuse und klopfte dann an die innere Tür.
Dieser fensterlose, hell erleuchtete Raum war Faustinas Reich. Nevios Frau stand an ihrer Arbeitsfläche, auf der sie gerade eine Marinade zubereitete, und blickte bei seinem Eintreten erfreut auf. »Raoul, mein Lieber. Was für eine Freude!«
Raoul beugte sich über ihre Hand und deutete einen Kuss an. Faustina lächelte. Ihr rabenschwarzes Haar hatte sie über der glatten, weißen Stirn streng zurückgekämmt und im Nacken zu einem straffen Knoten gebunden, und sie trug, wie immer, ein hochgeschlossenes, altmodisch anmutendes Kleid, mit einem kleinen silbernen Kreuz an einer Silberkette als einzigem Schmuck.
»Nevio hat mir erzählt, dass du eine Freundin mitgebracht hast«, sagte sie und deutete auf den hochbeinigen Hocker neben der Arbeitsfläche. »Erzähle mir von ihr. Seit wann seid ihr zusammen?«
Raoul setzte sich auf die Kante des Hockers und sah ihr zu, wie sie mit einem langstieligen Löffel die Marinade probierte und noch ein wenig Pfeffer hinzugab. »Sie ist eine Kollegin«, sagte er. »Wir arbeiten gemeinsam an einem Fall. Nichts weiter, Faustina.«
»Wie schade.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Du siehst müde aus. Macht dein Demonio dir Ärger? Du solltest ihm nicht so viel Macht über dich geben, Raoul.«
Er schüttelte sacht den Kopf, und Faustina seufzte. »Anderes Thema, eh? Gut, meinetwegen. Aber jemand sollte auf
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