Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
stehenbleibend, als wollte er mit seinem Gesprächspartner endgültig auf dem Flur verweilen. Josef M. Hüttenberger war sozusagen Philipp Laubmanns «eifernder» Kollege, etliche Jahre jünger und ständig disputierend. Philipp traf ihn nie bei einer Diskussion an, bei der Hüttenbergers Meinung nicht von vorneherein unverrückbar festgelegt gewesen wäre. Das mochte Philipp nicht. Und wenn er es nachprüfte, waren die «Meinungen» Hüttenbergers oft nur einem Mangel an Kritikfähigkeit, an Problembewußtsein und echtem Differenzierungsvermögen zu verdanken.
Ein konservativer Denker also, erzkonservativ, den manche für das kirchentreue Feigenblatt der Theologischen Fakultät hielten. Was Josef Maria verkündete, war schlicht das, wovon er meinte, daß es die offizielle Kirchenleitung, insbesondere der Papst, nun einmal so haben wollte. Natürlich war vielen Theologen längst klar, wie sehr diese offiziellen Verlautbarungen berechtigten Widerspruch herausfordern mußten. Nicht aber Hüttenberger. Er nahm für sich selbst in Anspruch, aufrichtig zu sein. Und eifrig war er allemal. So mußte er es auch zu einer Assistentenstelle gebracht haben.
Da kam er nun den Flur entlang, schon äußerlich ein Gegensatz zu Laubmann: mager im Gesicht und dünn, kurze und dennoch ungeordnete dunkle Haare, unendlich lange Arme mit unerklärlich großen Händen daran. Er schaute sich, während er auf den anderen einredete, oft prüfend um, wechselte zwischen laut und betont gesprochenen Worten und gepreßt leisem Reden.
«Aber das darf doch niemals wahr sein!» war einer der Gesprächsfetzen, die Philipp aufschnappte. Der arme Diskussionspartner, ein Priesteramtskandidat in Anzug und Krawatte, beides schon priesterlich schwarz, versuchte gegenüber dem wissenschaftlichen Assistenten Hüttenberger bedächtig zu reagieren, wenn auch mit kleinen Andeutungen von Nervosität: Er hielt die Arme meist verschränkt, manchmal steckte er eine Hand in die Hosentasche, ohne dabei lässig zu wirken.
Nach Laubmanns Erfahrung war der Gesprächsverlauf mit Hüttenberger jedesmal der gleiche. Zuerst machte er nur einige extrem konservative Bemerkungen, und wenn er ein Opfer gefunden hatte, das nicht rechtzeitig ebenso entschieden konterte, verstieg er sich in ein immer engeres Umreißen kirchlich-katholischer Grundsätze, so daß am Ende nur die Forderung nach härtesten Strafen für imaginäre Delinquenten übrigbleiben konnte – die reinste Inquisition.
Und darauf hatte ihn der Theologe Laubmann auch hingewiesen, damals, als es «Hütte» – der Ausdruck war nicht nur Laubmanns Versuch, sich Hüttenbergers kirchlicher Blasiertheiten zu erwehren – erstmals bei ihm probiert hatte. Daß nicht nur er, Laubmann, sondern genauso auch Hüttenberger hin und wieder Prälat Glöckleins korrigierende Einwände über sich ergehen lassen mußten – Glöcklein wagte dies bei Assistenten, kaum bei Professoren –, stimmte Philipp nicht gnädiger.
Indessen war Professor Konrad bei der Meßfeier noch angespannter geworden. Der Unbekannte am Treppenabgang stand unbeirrt an seinem Platz. Konrad hatte das sichere Gefühl, daß der nicht nur anwesend war, um einfach dem Gottesdienst beizuwohnen. An der Kommunion hatte er nämlich nicht teilgenommen. Und es war nicht das erste Mal, daß er sich in der Krypta einfand. Erich Konrad erinnerte sich an frühere Besuche der düsteren Gestalt. Beim Segen geschah dann ein «Unglück»: Konrad stieß mit dem Fuß an die von seinem Ministranten ungeschickt neben dem Altar abgestellte Läutschelle, die klirrend eine Stufe hinabfiel. Richtig ärgerlich sprach der Professor den Segen, bei dem manche das Kreuzzeichen vergaßen. Danach Schluß, Abgang in die Sakristei, durch einen Seitenaufgang beim Altar. Jetzt wollte Konrad es wissen. Nur nachlässig umgezogen, indem er das Priestergewand rasch abgelegt und seine Anzugsjacke übergestreift hatte, rannte er hinaus vor den Dom und an der Außenwand entlang Richtung Portal. Doch halt! In diesem aufgelösten Zustand sollte ihn der Unbekannte, falls er den Auftrag hatte, ihn zu beobachten, nicht überraschen, auch sonst keiner. Konrad eilte deshalb, bevor ihn jemand entdeckte, zu einer der Nischen zwischen den gotischen Stützpfeilern der Kathedrale, um sich hier zu verbergen.
Ein wenig in sich gekehrt, auch der Witterung wegen, gingen die Gottesdienstbesucher auseinander. Weder die Studenten noch die Angestellten des Ordinariats hatten es eilig. Der Mann vom dunklen
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