Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Blick, auffällige Ohrringe, war aber kaum geschminkt. Philipp fragte sich, ob sie wohl jünger oder älter als 50 sei. Mit seiner ganzen wissenschaftlichen Autorität erklärte er ihr, er forsche im Rahmen seiner Habilitation über die Möglichkeit beziehungsweise Unmöglichkeit endgültiger Antworten auf moralische Fragen. Nun sei zu definieren gewesen, welche Lebensbereiche von moralischen Fragestellungen berührt seien, und es sei ja wohl richtig, daß man in sämtlichen Bereichen des Lebens moralisch fündig werde. Zu den ganz intensiven Gebieten aber gehöre die Frage des Eigentums und damit in einer theologischen Arbeit auch des Eigentums der Kirche. Seine Arbeit behandle also die ethische Dimension des Besitzens an sich, speziell jedoch zuvörderst des Grundbesitzes, wie er zum Beispiel in einem Liegenschaftsamt verwaltet werde. Gerade im Sinne der Kirche – mit ihrem hochgelobten Verständnis für die Kleinen und scheinbar Unbedeutenden und deren Geschichte – gehe es nicht allein um den Erhalt prächtiger Dome und Palais, sondern zudem um das Bewahren von weniger auffälligen Häusern, die aber gleichwohl denkmalschutzwürdig seien. Und deshalb seien die Bemühungen der Kirche und ihrer Verwaltung, auch leerstehende Kleindenkmale zu restaurieren und als Wohnraum möglichst sozialverträglich wieder verfügbar zu machen, doch sehr begrüßenswert. Jetzt suche er Beispiele dafür. Er denke da an ein Haus in der «Grube», von dem er vermute, daß es die Kirche zu eigen habe. Könne sie ihm liebenswürdigerweise dabei helfen, dies ausfindig zu machen, und ihm vielleicht Einblick in die Pläne gewähren, wofür er ihr über alle Maßen dankbar wäre?
Überrollt von dieser langschweifigen Rede, äußerte Frau Schmitthans-Jungbauer Verständnis für Dr. Laubmanns Ersuchen. «Ich glaube, ich weiß, welches Gebäude Sie meinen. Wir haben das geerbt, wir, die Kirche. Aber ob daran so bald etwas renoviert werden kann, halte ich für unwahrscheinlich. Bei unserm Mangel an Kirchensteuermitteln. Treten ja alle aus. Ich sage Ihnen das nur, damit Sie keinen schlechten Eindruck von den sozialen Bemühungen der Kirche bekommen.» «Ich kann das berücksichtigen.»
Die Leiterin des Liegenschaftsamtes erhob sich hilfsbereit, um gleich ins Archiv zu gehen und die relevanten Pläne nachzuschlagen und herzubringen. Sie ließ Dr. Laubmann allein am Schreibtisch zurück, in dessen Nähe er auf einem unbequemen Rokokosofa saß. Philipp hatte jetzt also Zeit, bis sie wiederkam. Und er nutzte diese Zeitspanne, indem er aufstand, auf ihrem Schreibtisch umherblickte – das Teufelchen der Neugier war ihm nicht unlieb – und allerhand Schriftstücke zu Gesicht bekam, die ihn nichts angingen, wie etwa das Protokoll einer Sitzung des kirchlichen Liegenschaftsamtes in Anwesenheit von Glöcklein und dem Bischof höchstselbst.
Frau Schmitthans-Jungbauer brachte das Kartenmaterial mit, teils gerollt, teils gefaltet, wobei sich Laubmann sofort auf die eingezeichnete «Gruben»-Immobilie konzentrierte. Es war unmittelbar ersichtlich, daß zwischen dem platzgreifenden Grundstück des bistumseigenen Liegenschaftsamtes und dem Haus- beziehungsweise Gartengrundstück, vor dessen verschlossenem Tor er sich am Vorabend befunden hatte, eine direkte Verbindung bestand, jeweils über den rückwärtigen Teil. Na also! Das Phantom hatte sich ungesehen verdrücken können.
«Wenn Sie's besichtigen wollen, ich kann Sie jederzeit hinführen», bot sie spontan an.
«Ja, das würde mich interessieren.»
«Ich brauch nur den Schlüssel.» Sie ging kurz ins Vorzimmer – Laubmann folgte ihr ein paar Schritte, um durch die geöffnete Flügeltür Einblick zu haben – und sperrte einen breiten Hängeschrank aus edlem Holz auf, der angefüllt war mit Schlüsselbünden, jeder sorgfältig beschriftet. Sie schaute ziemlich lange in den Schrank und drehte einzelne Bünde hin und her. «So was; das ist mir aber jetzt unangenehm. Ausgerechnet die Schlüssel für dieses Haus und den Garten fehlen.»
Theresia Schmitthans-Jungbauer fragte zwei Mitarbeiter, ob sie etwas über den Verbleib der Schlüssel wüßten, doch ohne Ergebnis.
«Lassen Sie's gut sein; ich kann bei passenderer Gelegenheit das Haus immer mal in Augenschein nehmen», versuchte Laubmann sie zu beschwichtigen.
«Also wenn Sie nichts dagegen haben, ich möchte der Sache lieber gleich auf den Grund gehen», antwortete sie nervös, griff sich eine apfel-grüne Wollweste und bat Dr. Laubmann, sie zu
Weitere Kostenlose Bücher