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Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Titel: Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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beeindruckend belesenen Mann, bei Wein- und Apfelschorle über das Buch unterhalten. Wie es Flaubert gelungen war, sich derart in die Seele einer Frau hineinzuversetzen; ob nicht manches von ihm selbst in der Titelfigur zu finden sei; ob der Roman gar ein Höhepunkt der psychologischen Darstellung einer Frau in der Weltliteratur sei. Irene hatte an seinen Lippen gehangen; sie hatte sich dabei ertappt.Als würde sie mit dem Dichter selber sprechen, war es ihr erschienen. Adelmann besaß Charme, war aufmerksam, selbstbewußt, und doch von allem nicht zu viel. Er hatte sanfte Hände, etwa ihr Alter, dunkelblonde Haare, einen sympathischen Blick. Und er hatte sie zärtlich angesehen, denn sie hatte ihm sofort genauso gefallen, ihr Lachen, ihre Wärme.
    Seit mehr als einem Vierteljahr war er ihr Liebhaber. Sie trafen sich nicht oft, weil er nicht hier wohnte, doch jedesmal zuerst in der Weinstube ihres Kennenlernens. Freilich war es vorläufig nur ein Arrangement gegen die Einsamkeit, unter der sie beide litten. Sie hatten sich zwar Treue versprochen, aber eine echte Beziehung hatte sich bis jetzt noch nicht ergeben. Die Angst vor neuen schmerzlichen Erfahrungen hielt sie davon ab.
    Nach zwei Gläsern Wein – wie immer hatte sie auf getrennten Rechnungen bestanden – begleitete er sie auch in dieser Nacht auf ihrem Nachhauseweg. Bei ihrem am Fuß der Bergstadt liegenden Wollgeschäft, neben dem Irene wohnte, schob sie ein Eisengitter zu einem kalt gekachelten Flur auf, der an eines der beiden Schaufenster grenzte. Diese wurden von indirektem Licht erleuchtet; die wolligen Waren schienen ihren Duft in die Nacht hinein zu verströmen. Das Gitter, das sich auf Rollen vor und zurück bewegen ließ, verschloß Irene wieder, nachdem sie Hand in Hand durch die Öffnung geschlüpft waren.
    Er folgte ihr durch den Flur zu einer richtigen Haustür – alles hatte sich ihm längst dauerhaft eingeprägt. Sie stiegen durch ein schmales Treppenhaus in den zweiten Stock hinauf, wo sie eine weiße Holztür aufsperrte. Ein Geruch von Wolle, Schlafzimmer und Speisen drang heraus. Merkwürdig, hatte er schon beim allerersten Eintreten gedacht, daß mich dieser fremde Geruch gar nicht stört. Bei Irene finde ich alles angenehm. Diesen unaufgeräumten Eingangsbereich, das insgesamt mit etwas zu vielen Decken und Kissen gestaltete Wohnzimmer und die vollgestopften Bücherregale, sogar im Gang zur Küche – alles gefällt mir.
    Sie war zur Küche gegangen, er blieb jedoch im Wohnzimmer stehen, wollte noch immer nichts unaufgefordert tun. Nun aber rührte sich nichts mehr. Er lugte in den Gang zur Küche. Da stand sie, mit dem Rücken an ein Regal gelehnt und einen forschenden Blick in seine Richtung werfend. Er bewegte sich auf sie zu, stützte sich mit der einen Hand am Regal ab, mit der anderen streichelte er ihre Schulter. Sein Blick tief in ihren Augen. Sie ließ ihn gewähren. Seine Lippen sanken auf ihren Mund, und sofort verschlangen sich auch ihre Zungen.
    Wer sich so küßt, will alles. Ihrem Haar haftete noch der Geruch der Weinstube an. Egal.
    Er mußte vor Erregung gezittert haben, das spürte er jetzt, als sie wegging und nach nebenan verschwand. Langsam ging er ihr nach. Sie hatte sich auf ihr Bett gelegt, nun beinahe nackt, und er empfand, daß sie ganz bereit für ihn war. Beide überließen sich ihrer puren Zweisamkeit, das dauernde Alleinsein wegschmelzend, die Einsamkeiten, die Hemmungen und was sonst nicht alles.
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    «Es war wunderwunderschön», hörte er sie sagen und schmiegte sich zärtlich an sie. Als das Telefonsignal erklang, zuckte er schreckhaft zusammen. Norbert Adelmann war verheiratet; noch, lebte seit zwei Jahren getrennt. Ohne schlechtes Gewissen seiner Ex-Frau gegenüber konnte er mit der anderen Frau nicht schlafen. Er versuchte Irene bei sich zu halten. Aber so leicht ließ sie sich nicht daran hindern, ans Telefon zu gehen; in dieser Hinsicht war sie ebenso pedantisch wie ihr Cousin. Der Freund fand sich notgedrungen mit der Unterbrechung ab. Ein verheißungsvoller Blick Irenes genügte. Wenigstens kam sie mit dem Telefon in der Hand unter die Decke zurück.
    Ein junger Mann meldete sich. Sie erkannte die Stimme nicht sofort, denn Josef Maria Hüttenberger hatte einen raunenden Tonfall gewählt, als er ihr unsicher und unerfahren gestand, daß er sie sprechen, daß er sie sehen müsse. Der lauschende Freund empörte sich leise und kitzelte sie zur Strafe. Irene schwankte zwischen der Empfindung, sich

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