Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
wieder andere in der Kirche eingefunden. Nicht jeder hält so lange durch.»
«Verzeihen Sie, wenn ich nochmals auf einer Zeitangabe bestehe», formulierte der Kommissar übertrieben höflich. «Um wieviel Uhr hat Ihre ‹Freundin› Sie verlassen?» «Ich schätze mal, nach elf; rechtzeitig halt, um möglichst vor Erich Konrad zu Haus zu sein, vor dem Ende seiner häretischen Abendveranstaltung, damit er bloß ja nichts mitkriegt von ihrer Opferbereitschaft, der scheinheilige Mensch; weil's ihm ja hätte peinlich sein können vor den Kollegen.»
«Sprechen wir lieber von Ihnen», setzte der Kommissar die Vernehmung fort, «haben Sie nicht den nahen Todesfall am Stadtpark mitbekommen? St. Vitus liegt doch fast um die Ecke.»
Nein, das hatte er nicht, was Josef Maria stereotyp mit der Vertiefung ins Gebet entschuldigte.
Dr. Laubmann appellierte erneut an ihn. «Hier ist nun wirklich der passende Ort für Sie, um Ihr Gewissen zu erleichtern.»
Kollege Hüttenberger widerstand der Aufforderung stoisch: «Von welchem Gewissen reden Sie andauernd?» «Haben Sie keins?»
«Ich seh keine Veranlassung, mir die Untat eines andern aufbürden zu lassen, selbst wenn sie in einem höheren Sinn gerecht war.»
«Das wäre die Chance. Ich denke, Sie büßen gern für andere Menschen?» Philipp spielte den Entrüsteten.
«Sie sind ein Sophist.» Hüttenberger wurde böse, wähnte er sich doch in ungerechtfertigter Art in die Ecke gedrängt. An Intelligenz konnte er es mit Laubmann aufnehmen. «Solche Haarspalter von Ihrer Raffinesse haben die Kirche zu allen Zeiten in den Abgrund stürzen wollen.» «Das halte ich für unmöglich, denn der Abgrund ist durch Leute wie Sie längstens besetzt. Und dort hinab locken Sie uns auch mit noch so vielen verschenkten Rosenkränzen nicht.»
«Sie spielen wohl auf den Rosenkranz an, den Sie von mir bekommen haben. Mit so einem billigen Exemplar würd ich meine wertvolle Rosenkranz-Sammlung niemals ausstatten; so einen verschenk ich nur an Leute wie Sie, weil's im Grunde hoffnungslos ist und einen höheren Aufwand nicht lohnt.» «Und ich denke, daß Leute wie Sie in ihrem Eigensinn, der dem Geiz verwandt ist, zu keinerlei Großherzigkeit fähig sind.»
«Ihre Ausdrucksweise harmoniert mit Ihrer verkommenen modernistischen Ideologie, die die Ohnmächtigkeit der Menschen anstelle von Gottes Macht in den Mittelpunkt rücken möchte. Und auf meine Großmut bezogen, darf ich anmerken, daß ich erst vor kurzem Frau Steinig einen sehr kostbaren Rosenkranz aus meiner Sammlung anvertraut habe. Bei ihr lohnt sich das nämlich.»
«Um sie damit wegen Ihres Alibis zu bestechen?» hinterfragte der Kommissar Hüttenbergers Aufschneiden rhetorisch.
Mehr war nicht drin gewesen, obgleich sie sich viel mehr versprochen hatten. Josef Maria Hüttenberger war nicht so einfach zu überführen, wenn er überhaupt zu überführen war. Dazu kam, daß er hier vor Ort die ihm gemäße Umgebung als Rückhalt hatte. Es blieb bei der Ermahnung an ihn, für die polizeiliche Untersuchung in nächster Zeit problemlos erreichbar zu sein und der baldigen Vorladung unbedingt nachzukommen.
Laubmann machte ein langes Gesicht, als sie das Gebäude verließen und sich anschickten, den beschwerlichen, weil steilen Weg nach oben zum Parkplatz zu gehen. Glaser schüttelte nur den Kopf: «Wie kann so eine Einrichtung im Schatten und im Schutz der Kirche existieren?» «Es heißt unter Kennern der Lage, der Kirchenleitung gefalle überhaupt nicht, was hier geschieht und zumindest manchmal sektiererische Züge annimmt. Ursprünglich war das eine kleine private Initiative, die einen tiefen christlichen Aufbruch verkörpert hat. Das hat sich dann schlagartig gewandelt, als irgendwelche umtriebigen Traditionalisten das Ruder in dieser Gruppierung übernommen haben. Die verstanden und verstehen es, sich ebenso falsch christlich wie falsch modern oder falsch konservativ zu geben. An denen ist nichts ehrlich und offen. Die genügen sich vollkommen selbst. Meines Erachtens nach stehn die weit außerhalb der Kirche. Und vor genau zwölf Jahren konnten sie es sich durch Spendengelder leisten, diese riesige Anlage aus dem Boden zu stampfen. War früher mal ein lauschiges Fleckchen Erde hier. Jetzt ist alles kaputt.» Laubmann schimpfte, daß er richtig außer Atem kam, obwohl er allein schon des Aufstiegs wegen kräftig schnaufen mußte. «Und sind die Wege nicht sehr kurz zwischen solch kleinkariertem Sektierertum und
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