Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Ansicht eher kirchlichen oder universitären Besuchern vorbehalten bleiben.
Ein Höhepunkt der drückenden Pracht des Zimmers waren die Bücherschränke an den Längsseiten vor und hinter Philipps Sitzplatz: Lange Buchreihen bedeutender Werke erregten seine Aufmerksamkeit. Viele der Bücher waren in dunkelfarbiges Leder mit Goldprägung eingebunden, wohl auf Kosten des Professors. Bewundernd und irritiert zugleich tastete Laubmanns scharfer Blick die Fächer ab. Da fanden sich neben den allgemeinbildenden Konversationslexika ein Literaturlexikon sowie das «Grimmsche Wörterbuch»; darauf folgten in der Hauptsache die theologischen Fachlexika und die gebundenen Jahrgänge wissenschaftlich-theologischer Zeitschriften. Laubmann erkannte das «Lexikon für Theologie und Kirche», die «Theologische Realenzyklopädie», das «Kleine theologische Wörterbuch», Herbert Haags «Bibellexikon», das nur in einem einzigen, wenn auch umfangreichen Band erschienen war, während das «Neue Bibellexikon» von Manfred Görg und Bernhard Lang gleich drei Bände umfaßte, dann die Evangelisch-Katholischen Kommentare zum Neuen Testament oder die bisherigen Ausgaben der «Stuttgarter Bibelstudien».
In einer Ecke des Zimmers lagerten die meist noch eingeschweißten Freiexemplare der Konradschen Werke zu den herausragenden Themen der sozialen Gerechtigkeit aus christlicher Perspektive. Professor Erich Konrad hatte bereits etliche Bücher bei namhaften Verlagen veröffentlicht. Laubmann blickte neidisch darauf, zumal er seine Promotionsschrift nirgendwo sah. Dabei hatte er Konrad ein Exemplar mit persönlicher Widmung geschenkt. Vielleicht liegt es ja auf seinem Nachttisch, versuchte er sich zu trösten. Auf einem zwischen den anderen Büchern freigehaltenen Regalbrett, das Konrad offensichtlich zur Ablage ihn vorübergehend interessierender Texte nutzte, etwa zu aktuellen Forschungen, befanden sich Werke zum Thema Engel. Wollte Konrad ein Fachmann für Angelologie werden? Doch Philipp dachte gleich: Professor Konrad und seine Franziska. Als wollte er in ihr einen Engel sehen, der ihm den Weg zum Geliebtsein wies und zu einem bißchen Paradies schon auf Erden.Vielleicht wollte er auch nur sein priesterliches Gewissen beruhigen – und warum schließlich nicht? Konnte es nicht sein, daß sie füreinander bestimmt waren? Oder waren sie es nicht, weil alles so bald zu Ende gewesen war?
Bevor sich Philipp Laubmann sowohl über die Engelslektüre des Professors als auch darüber weitere Gedanken machen konnte, welches Vermögen in der umfangreichen Büchersammlung stecken mochte – und gar erst in den Einbänden aus Gold und Leder –, kam die Haushälterin mit einem Teetablett, das sie auf einem Beistelltisch neben Dr. Laubmann plazierte. Auf demselben Tisch entdeckte dieser plötzlich den Rosenkranz, den er bei seinem letzten Besuch bereits flüchtig in der Küche gesehen hatte. Er hob ihn sofort hoch, ohne zu fragen. Der sah nämlich wahrhaftig so aus wie derjenige, den Hüttenberger für teures Geld in der Devotionalienhandlung gekauft hatte, nach Lürmanns Beschreibung jedenfalls. Hier waren die Perlen ebenfalls aus Elfenbein gefertigt.
Als Melitta Steinig den edlen Rosenkranz in Dr. Laubmanns Händen wahrnahm, erschrak sie, versuchte dies aber gleich zu verbergen.
«Ich hab Ihren Rosenkranz schon neulich bewundert; der sieht sehr kostbar aus.»
«Ja, das ist er», antwortete sie zaghaft. Dann fügte sie selbstbewußter hinzu: «Ich bin recht stolz darauf.» «Haben Sie ihn geerbt?»
Frau Steinig zögerte. «Ich hab ihn geschenkt bekommen.» «Oho!» stieß Dr. Laubmann anerkennend aus, obgleich er vordringlich herausfinden wollte, wie das zugegangen sein mochte. Daß der Rosenkranz von Hüttenberger kam, war ihm ja bereits bekannt.
Sie gerierte sich ein wenig verschämt, rückte aber doch von selbst mit der Sprache heraus, ohne daß Laubmann nachgefragt hätte. «Das ist eine unglückliche Geschichte – die erzähl ich Ihnen nur, wenn Sie Professor Konrad wirklich nichts weitersagen!»
«Darauf können Sie sich verlassen. Ich geb Ihnen mein Wort drauf, beim heiligen Erasmus!» Damit war freilich, das wußte Philipp, nicht Erasmus von Rotterdam gemeint, denn der war nie heiliggesprochen worden, sondern der frühchristliche Bischof Erasmus, einer der Vierzehn Nothelfer.
Auch mit der erneuten Anspielung bezüglich der Laubmannschen Vornamen konnte Melitta Steinig nichts anfangen. Trotzdem war es Philipp gelungen, das Eis zu
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