Laubmann 2 - Bärenzwinger
besser eine luftigere Regenjacke überziehen sollen. Doch grundsätzlich war ihm das triste Wetter recht angenehm, denn es stimmte ihn auf philosophische und literarische Gedanken ein und war ungemein passend für einen Kriminalfall in historischer, ja theologischer Umgebung. Es mußte direkt mit der Theologie und der Burg zusammenhängen, daß man Alfonso Forster an diesem Ort umgebracht hatte.
Gisela Merten trug wieder ihren Lammfellmantel und die Winterstiefel. Ihr war es jedoch nicht zu warm, und ihre Stimmung war nicht gelöst. Im Gegenteil. Laubmann spürte, daß sie etwas bedrückte und daß sie froh war, auf andere Gedanken gebracht zu werden.
Nachdem beide die Plattform des Rundturms über dem Bärenzwinger langsam im Kreise abgeschritten hatten, schlenderten sie wieder hinab in den großen Burghof. Die Bärinnen schienen sich in ihre Unterschlüpfe zurückgezogen zu haben. Das weiträumige und nach außen mit Graben, Mauer und Zäunen abgesicherte Gehege war abwechslungsreich gestaltet: Hügel, größere Bäume, ganze Baumgruppen, viel Gebüsch, Wiesen und noch zugefrorene Wasserflächen.
«Da vorne kommt eines der Tiere.» Gisela Merten wies mit der Hand auf eine künstlich geschaffene Felsformation, hinter der eines der Bärenweibchen träge hervorkam. Die Bärin wirkte so müde und desinteressiert, daß sich Laubmann und Merten mit ihren Blicken dann doch lieber den Menschen zuwandten.
Zwischen einer riesigen Blutbuche und dem hohen mittelalterlichen Bergfried, der ohne Anbindung an den Palas im Zentrum des Burghofs aufragte, gewahrten sie Petrus von Bebenhausen und Barbara Burgerroth, die ähnlich einträchtig und besinnlich dahinschritten. Bebenhausen sah trotz seiner mächtigen Gestalt aus, als wäre er in sich eingesunken und als könnte ihm sogar die weitaus zierlichere Kollegin Burgerroth eine Stütze sein. Ihre langen, blonden Haare streiften bisweilen seinen Mantel.
Aus einem Überlauf des geduckten Brunnenhauses, neben dem sich der eigentlichen Ziehbrunnen befand, füllte ein Rinnsal unaufhörlich das Steinbecken der vorgelagerten Pferdetränke. Dank des leise gurgelnden Geräusches wurde die ruhige Atmosphäre der Burg für Spaziergänger, sofern sie nahe genug an der Tränke vorbeigingen, mit einem Mal vernehmbar. Das wärmere Wasser aus der Erde gefror selbst in strengen Wintern nicht.
«Hier muß es früher auch Eiben gegeben haben, aus denen Bögen oder Armbrüste gefertigt wurden, und Nußbäume – für die Gewehrschäfte», führte die Tochter des Kastellans aus. «Das hat mein Vater herausbekommen. Er liebt die Burgenkunde.»
«Seinen Kurzführer hab ich schon vor längerer Zeit in einer Buchhandlung erworben.»
«Er sammelt alle Aufsätze über die Burg, und ich alte Ansichtskarten, auf denen die Burgbären abgebildet sind.»
«Meine Sammelleidenschaft bezieht sich auf den Teufel. Ich sammle Teufelskarikaturen und alle möglichen Teufelchen aus Stoff, aus Ton, aus Blech. Das hat im Studium begonnen, ohne daß ich’s so recht wollte; aber seit damals sind’s beliebte Mitbringsel meiner Bekannten für mich, sogar zu Weihnachten.»
Sich mit dem Teufel zu beschäftigen, das traute Gisela Merten Philipp Laubmann zu.
Nach kurzer Zeit waren sie auf der entgegengesetzten Seite des Burghofs angelangt, wo er rechter Hand zwischen dem rückwärtigen Teil des Palas und der stadtzugewandten Außenmauer einen schmaleren Gehweg bildete. Zu diesem hinteren beziehungsweise äußeren Teil des Burghofs hin lag das Fenster des Tatorts. Andere Tagungsteilnehmer, wie etwa die Professoren Bach und Meister, waren ebenfalls im Burghof oder rund um die Babenburg unterwegs, um sich von den befremdlichen Ereignissen zu erholen und innerlich frei zu werden für die wissenschaftliche Arbeit am späten Nachmittag. Denn die Fortsetzung der Fachtagung erforderte ihre Aufmerksamkeit.
Heribert Bach und Peter Meister marschierten forsch und eifrig diskutierend in den Burgwald hinein, ja waren dermaßen vertieft in ihr Gespräch über Mord und Wahrheit, daß sie sich nicht um den Wegverlauf kümmerten. Erst als sie schon weit bergab gegangen waren und Meister auf die Uhr sah, beschlossen sie umzukehren, wußten aber nicht mehr, welche Abzweigung sie vorher genommen hatten. Es sollte über eine Stunde dauern, bis sie wieder zur Burg zurückfanden. Abgehetzt kamen sie hernach an der unteren Burgmauer an, so daß Meister eine seiner gelb-grauen Haarsträhnen mitten ins Gesicht hing und Bach gleich zwei
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