Lauf, Jane, Lauf!
nicht. Irgendwann haben wir dann wohl oder übel miteinander getanzt, und ich glaube, da ist es passiert. Es war ein langsamer Tanz, irgend so ein alter Schmachtfetzen, und da sind wir anscheinend beide dahingeschmolzen.«
»Es lebe die Sentimentalität«, sagte sie lächelnd.
»Ja, aber das war nur der Anfang. Nach einer Weile stellte ich fest, daß ich auch mit Untertiteln leben konnte, und du entdecktest,
daß Salamibrote gar nicht so übel schmecken. Als du schließlich sogar einen Puck von einem Baseball unterscheiden konntest, mußte ich dich einfach lieben. Und als ich kapiert hatte, daß es neben medizinischen Fachzeitschriften noch andere Literatur gibt, war’s um dich auch geschehen.«
»Und da haben wir geheiratet und lebten glücklich und zufrieden bis an unser seliges Ende.«
»Ich hoffe, daß es so sein wird«, sagte er aufrichtig und neigte sich zu ihr, um ihre Hand zu nehmen, zog den Arm jedoch sofort wieder zurück, als er ihre Abwehr spürte. »Entschuldige«, sagte er. »Ich verspreche dir, ich werde dich nicht drängen.«
»Das weiß ich«, sagte sie. »Mir tut es auch leid. Ich möchte mich so gern erinnern können.« Sie sah zum Fenster hinaus und beobachtete eine Weile die entgegenkommenden Autos, die sie zügig passierten. »Ich möchte wissen, warum es auf unserer Seite nicht vorwärtsgeht.«
»Das werden wir bestimmt gleich wissen. Ich kann schon das Blaulicht sehen.« Er sah sie aufmerksam an, als suche er nach einer Reaktion.
»Was ist?« fragte sie wie zuvor, als sie den gleichen forschenden Blick von ihm aufgefangen hatte.
Er schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Na schön. Dann erzähl mir noch was.«
Er warf den Kopf zurück, als suche er an der Wagendecke nach Einfällen. »Also, du bist eine unheimlich engagierte Frau.«
»Wie meinst du das? Engagiert wofür?«
»In letzter Zeit ging es dir um die Umwelt und die Rettung der Regenwälder. Aber damit will ich nicht sagen, daß du zu den Leuten gehörst, die immer das aufgreifen, was gerade aktuell ist, um es dann sehr bald wieder fallenzulassen. So bist du nicht. Wenn dich etwas wirklich betrifft, dann engagierst du dich total. Wenn es darum geht, ein Unrecht gutzumachen, bist du immer da«, sagte er mit unverhohlener Bewunderung.
Augenblicklich sah sie vor sich ein blutbespritztes blaues Kleid und eine Plastiktüte voller Hundert-Dollar-Scheine. Hatte sie sich diese Gegenstände zugelegt, während sie damit beschäftigt gewesen war >Unrecht gutzumachen‹? War sie vielleicht ein irregeleiteter moderner Robin Hood, der von den Reichen nahm, um den Armen zu geben?
»Und was tun wir so, wenn wir zusammen sind?« fragte sie, das blutige Bild verscheuchend.
»Wir spielen Tennis; wir gehen ins Kino; ins Theater; du hast mich sogar für klassische Konzerte begeistert. Wir treffen uns mit Freunden, und wenn wir die Zeit dazu haben, reisen wir gern...«
»Wohin?«
»Na ja, in den letzten zwei Jahren haben wir keinen richtigen Urlaub mehr gemacht, aber vor vier Jahren waren wir im Orient.«
»Waren wir auch mal im Dschungel?« fragte sie in Erinnerung an den merkwürdigen Traum, den sie bei der Untersuchung gehabt hatte.
»Im Dschungel?« Er schien verblüfft.
»Du sagtest doch, ich hätte mich für die Rettung der Regenwälder engagiert. Waren wir mal dort?«
»Ich glaube, du warst daran interessiert, sie zu erhalten , nicht, sie zu erforschen.«
Sie lächelte, während sie darüber nachdachte, was für seltsame Wege ihr Unbewußtes ging. Ein Interesse an der Erhaltung der Regenwälder hatte sich in einem ihrer Träume niedergeschlagen. Wenn ihr Unbewußtes solche relativ unbedeutenden Einzelheiten zutage förderte, würde es gewiß nicht lange dauern, ehe es Wesentliches an die Oberfläche stieß, vor allem wenn sie erst einmal in vertrauter Umgebung zurück war.
Sollte sie Michael von dem Geld und dem blutbespritzten Kleid erzählen? Sie hatte vorgehabt, mit Dr. Meloff darüber zu
sprechen, aber in dem allgemeinen Wirbel nach ihrer Begegnung mit der jungen Ärztin, die sie erkannt hatte, hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben. Vielleicht wußte Michael etwas. Vielleicht war alles - so unwahrscheinlich das auch schien - ganz harmlos und hatte eine simple Erklärung. Vielleicht konnte er ihr helfen. Er war schließlich ihr Mann. Sie hatten ein gemeinsames Leben, sie hatten ein Kind zusammen. Er liebte sie. Daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Warum also hatte sie sich ihm nicht anvertraut? Warum zögerte sie
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