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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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und Reibereien, genau wie alle anderen Ehepaare, aber insgesamt gesehen hatten wir, glaube ich, beide das Gefühl, daß unsere Beziehung etwas Besonderes war.«
    Sie sehnte sich danach, ihm zu glauben. »Wo wohnen wir? In Beacon Hill?«
    Er lächelte. »Nein, die Großstadt erschien uns für Kinder nicht gerade ideal. Wir haben ein sehr hübsches Haus in Newton.«
    Sie wußte, daß Newton ein gepflegter Vorort von Boston war, mit dem Auto knapp zwanzig Minuten von der Stadtmitte entfernt.
    »Hast du nicht Lust, nach Hause zu fahren?« fragte er.
    »Jetzt?«
    Er berührte leicht ihre Arme. Sie verspürte ein Kribbeln, das sich über ihre Haut bis in den Nacken fortpflanzte.

    »Vertrau mir, Jane«, sagte er leise. »Ich liebe dich.«
    Sie sah die Zärtlichkeit in seinem Gesicht, die Innigkeit seines Blicks, und wünschte sich, ihm sagen zu können, daß auch sie ihn liebte. Aber wie konnte sie einen Menschen lieben, den sie nicht kannte? Sie begnügte sich damit, ganz vorsichtig seine Lippen zu berühren. »Ich vertraue dir«, sagte sie.

6
    »Tut mir leid, daß wir in diesen Stau geraten sind«, sagte er, als sei er für die endlose Schlange von Autos verantwortlich, die im Schneckentempo den Highway entlangkrochen.
    »Wahrscheinlich hat es irgendwo da vorn einen Unfall gegeben«, meinte Jane sachlich. Was ihr wirklich durch den Kopf ging, verschwieg sie. Daß ihr alles willkommen war, was ihre Rückkehr in ihr bisheriges Leben verzögerte, ein Leben, für das sie noch immer überhaupt kein Gefühl hatte. Sie fing den verwunderten Blick auf, den er ihr bei dieser Bemerkung zuwarf. »Was ist?« fragte sie und fühlte sich von einer plötzlichen Angst gepackt, die sie nicht bestimmen konnte.
    »Nichts«, antwortete er hastig.
    »Doch, irgendwas ist. Ich hab es dir angesehen.«
    Er schwieg, als konzentriere er sich auf den Verkehr. »Ich dachte nur gerade, unter normalen Umständen«, sagte er verlegen, »würdest du jetzt herüberlangen und kräftig auf die Hupe drücken.«
    »Was! Ich würde dir einfach ins Steuerrad greifen und hupen, während du fährst?« fragte sie ungläubig.
    »Es wäre nicht das erste Mal.«
    »Bin ich denn so ungeduldig?«
    »Manchmal schon. Wenn du irgendwohin wolltest, mußte es
immer ruckzuck gehen. Ein Stau hat dich jedesmal verrückt gemacht.« Er sprach in der Vergangenheit, als wäre sie tot.
    »Und wieso hatte ich es immer so eilig?«
    »So bist du einfach«, antwortete er, ins Hier und Jetzt zurückkehrend.
    »Erzähl mir etwas von dir«, bat sie.
    »Was möchtest du denn wissen?«
    »Alles.«
    Er lächelte, warm und entspannt. Sie musterte sein Gesicht, während er überlegte, wo er anfangen sollte. Im Profil war die leichte Schrägstellung seine Nase deutlicher zu erkennen, und seine Stirn war fast verdeckt von dem blonden Haar, das ihm ins Gesicht fiel. Es erweckte den Eindruck, als lege er nicht viel Wert auf sein Äußeres. Dennoch strahlte er eine natürliche Autorität aus, die, wie sie bereits erfahren hatte, anderen Respekt abforderte, ganz gleich, in welcher Situation. Er selbst schien sich dieser Gabe gar nicht bewußt zu sein, was sie vermutlich nur noch wirkungsvoller machte.
    »Hm, laß mich überlegen«, sagte er, während er sich entspannt in die Lederpolster des schwarzen BMW lehnte. »Ich bin in Weston geboren und aufgewachsen. Das ist keine zehn Minuten von unserem heutigen Wohnort entfernt. Ich hatte eine glückliche Kindheit«, fügte er lachend hinzu. »Ist es etwa das, was du wissen möchtest?«
    »Genau. Warst du ein Einzelkind?«
    »Ich hatte einen Bruder.«
    »Lebt er nicht mehr?«
    »Nein, er starb, als ich noch auf der Highschool war. Im Grunde«, fuhr er fort, ehe sie weitere Fragen stellen konnte, »habe ich meinen Bruder nie gekannt. Er war vier Jahre älter als ich und kam schwerstbehindert zur Welt. Er mußte gleich nach der Geburt in ein Heim.«
    »Oh, das tut mir leid.« Es tat ihr wirklich leid.

    »Gott, das ist alles so lange her.« Er zuckte die Achseln. »Und wie gesagt, er gehörte eigentlich nie wirklich zu meinem Leben. Als ich zur Welt kam, hatten sich meine Eltern schon einigermaßen damit abgefunden, daß er niemals zu Hause leben würde. Sie konzentrierten ihre ganze Liebe und Zuwendung auf mich - ich wurde das typische Einzelkind, das alles bekommt, was es haben will.«
    »Und dazu die Verantwortung für das Glück seiner Eltern«, sagte Jane.
    Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Respekt. »Es ist beruhigend

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