Lauf, Jane, Lauf!
sich Jane seine Bemerkung und wurde zornig.
»Paula muß es weggetan haben!« rief sie anklagend, während sie vor dem Bett hin und her rannte.
»Warum hätte sie es wegtun sollen?«
»Keine Ahnung. Aber letzte Woche war es noch hier, und jetzt ist es weg. Folglich muß es jemand weggenommen haben.«
»Ich frage Paula am Montag danach.« Ihr Verhalten verletzte ihn offensichtlich, aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Ich verstehe sowieso nicht, wozu du das Buch jetzt brauchst.«
»Vielleicht möchte ich eine Freundin anrufen!« gab sie heftig zurück und war sich bewußt, wie irrational das klang. »Vielleicht möchte ich endlich anfangen, mein Leben wieder zusammenzuklauben.
Vielleicht hab ich es satt, den ganzen Tag hier eingesperrt zu sein und mich von dieser Nazifrau...«
»Nazifrau? Paula? Mein Gott, was hat sie denn getan?«
»Nichts!« schrie Jane, jetzt völlig außer sich. Nichts konnte den Wortschwall zurückhalten, der ihr über die Lippen stürzte, als wäre er viel zu lange mit Gewalt eingedämmt worden. »Sie macht ja immer alles ganz richtig. Sie ist die reinste Maschine. Sie bewacht mich wie der Große Bruder. Ich kann nicht mal ins Bad gehen, ohne daß sie mir hinterherrennt. Sie läßt mich nicht ans Telefon, wenn es läutet. Sie erzählt meinen Freunden, ich wäre verreist. Warum läßt sie mich nicht mit den Leuten sprechen?«
»Aber was würdest du denn sagen?« fragte er vorwurfsvoll. »Möchtest du wirklich, daß deine Freunde dich so sehen?«
»Wozu sind Freunde da?« entgegnete sie heftig.
Michael wurde blaß. Er setzte sich aufs Bett und schlug die Hände vors Gesicht. »Es ist meine Schuld«, murmelte er. »Ich habe Paula gesagt, sie soll dich nicht ans Telefon lassen. Ich wollte dir helfen. Ich wollte dafür sorgen, daß du nicht in Situationen gerätst, die dich unter Druck setzen. Ich dachte, es wäre das beste, wenn möglichst wenige Menschen erfahren, was passiert ist. Du warst immer ein sehr zurückhaltender und verschlossener Mensch, und ich glaubte, es wäre dir nicht recht, wenn jeder erführe... Es tut mir leid. Es tut mir so leid«, wiederholte er mit immer leiser werdender Stimme.
Sie setzte sich neben ihn. Ihr Zorn war plötzlich verflogen. »Nein, mir tut es leid. Du kennst mich offensichtlich besser als ich mich selbst.«
Sie hoffte, er würde lächeln, und war froh und dankbar, als er es tat.
»Wenn du mit deinen Freundinnen sprechen willst, brauchst du es mir nur zu sagen. Ich rufe sie auf der Stelle an und bitte sie herzukommen.«
Jane dachte einen Moment über den Vorschlag nach. Die Vorstellung, mit Menschen zu sprechen, die praktisch Fremde für sie waren, die Vorstellung, ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, machte ihr angst. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Er hatte recht - es war viel zu belastend. Wen würde sie denn anrufen? Und was würde sie sagen?
»Nein, jetzt nicht«, antwortete sie ihm. »Verzeih mir, bitte. Ich bin einfach so verwirrt und durcheinander.«
»Hast du deshalb Dr. Meloff angerufen?«
»Ich weiß nicht, warum ich Dr. Meloff angerufen habe.«
»Kannst du denn nicht mit mir sprechen?« Sie sah die Tränen in seinen Augen und sah auch, wie er sich anstrengte, sie zurückzudrängen. »Weißt du nicht, daß ich alles für dich tun würde? Daß du mit allen Fragen und Zweifeln und Ängsten jederzeit zu mir kommen kannst? Wenn du Paula nicht magst, schicken wir sie weg. Wenn du mehr hinaus willst, nehme ich dich mit, wohin du willst, oder du kannst auch allein ausgehen, wenn es das ist, was du gern möchtest. Du kannst mit mir in die Praxis kommen, wenn du das willst. Aber du brauchst auch gar nichts mit mir zusammen zu unternehmen.« Er brach ab, krümmte sich schwer atmend zusammen, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten. »Ist es das, Jane? Bin ich das Problem? Sag es mir, bitte. Wenn es so ist, wenn ich es bin, den du nicht hier haben willst, dann sag es. Ich verschwinde sofort. Ich packe ein paar Sachen und ziehe in ein Hotel, bis dieser furchtbare Alptraum vorbei ist.«
»Nein, nein, das will ich ja gar nicht. Mit dir hat es nichts zu tun. Es hat nur mit mir zu tun.«
»Ich möchte nur das Beste für dich, Jane. Das Beste für uns.« Er weinte jetzt ganz offen, ohne jeden Versuch, die Tränen zurückzuhalten. »Jane, ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich habe dich immer geliebt. Ich weiß nicht, warum gerade uns so etwas Schreckliches passieren muß, aber ich bin bereit, alles zu tun,
Weitere Kostenlose Bücher