Lauf, Jane, Lauf!
um
alles so schnell wie möglich wieder gutzumachen, auch wenn das heißt, daß ich dich aufgeben muß.«
Jetzt weinte auch sie. »Aber ich will doch gar nicht, daß du gehst. Ich möchte, daß du bei mir bleibst. Bitte laß mich nicht allein. Bitte.«
Als er sie in die Arme nahm, drückte sie den Kopf an seine Brust, und sie weinten beide. Als sie zu weinen aufhörten, suchte ihr Blick den seinen. Er küßte sie, und es tat ihr gut, nein, nicht nur das, es war wunderbar. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, wirklich nach Hause gekommen zu sein, wirklich hierher zu gehören.
»Mein Gott, Jane, du bist so schön«, murmelte er und küßte sie wieder und wieder, während er sie streichelte.
Aber plötzlich zog er sich zurück und rückte von ihr ab. »Entschuldige. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen.«
»Warum nicht?« fragte Jane, obwohl sie die Antwort wußte.
»Du bist durcheinander, unsicher...«
»Ich bin völlig sicher.«
Er starrte sie einen Moment lang an, dann neigte er sich ihr zu und küßte sie auf die Nasenspitze. »Ich hab dich in diesem blöden Nachthemd immer geliebt«, sagte er, und sie lachte.
»Schlaf mit mir, Michael. Bitte.«
Er sah ihr so aufmerksam in die Augen, als versuche er zu ergründen, was in ihrem Kopf vorging.
»Ich möchte es. Wirklich«, beteuerte sie, und es kamen keine Einwände mehr von ihm.
13
In der folgenden Woche hatte Jane wieder einen Traum.
Sie stand mit einem kleinen Mädchen, von dem sie wußte, daß es ihre Tochter war, am Rand einer kleinen Schlittschuhbahn in Newton Center. Sie standen Seite an Seite, Emily in ihrem rosaroten Schneeanzug, die neuen weißen Schlittschuhe an den Füßen, Jane in einem Parka mit Kapuze und dicken Winterstiefeln, und sie wollten gerade aufs Eis gehen, als eine strenge Männerstimme sie aufhielt.
»Entschuldigen Sie, aber ohne Schlittschuhe dürfen Sie nicht auf die Eisbahn.«
Jane sah zu ihren Füßen hinunter, dann aufwärts in das rotwangige Gesicht des jungen Mannes. »Aber ich möchte doch nur meine Tochter auf der Bahn herumführen.«
»Sie müssen Schlittschuhe anhaben. Tut mir leid, aber das ist Vorschrift.«
Jane merkte, daß ihr langsam der Hut hochging. »Ich möchte mich wirklich nicht mit Ihnen streiten. Können wir uns nicht friedlich einigen? Es ist doch kein Mensch auf der Bahn, und ich verstehe nicht, was so schlimm daran ist, wenn ich...«
»Ohne Schlittschuhe dürfen Sie nicht aufs Eis. So einfach ist das, Lady.«
Bei dem Wort Lady hätte Jane ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben, aber sie beherrschte sich.
»Ach, kommen Sie«, drängte sie den jungen Mann und versteckte die geballten Fäuste in den Taschen ihres Parkas. »Sie können doch meine kleine Tochter nicht so enttäuschen. Sie hat sich die ganze Woche aufs Schlittschuhlaufen gefreut.«
Der junge Mann zuckte mit den Achseln. »Vorschrift ist Vorschrift, Lady. Da ist nichts zu machen.« Er wandte sich ab und ging davon.
»Arschloch«, brummte Jane nicht allzu gedämpft.
»Was haben Sie gesagt?«
Danach ging alles sehr schnell: Der junge Mann drehte sich herum, kam zurück, packte sie vorn an ihrem Parka und schüttelte sie, während er sie gleichzeitig mit Beschimpfungen überschüttete; Emily schrie wie am Spieß, Leute liefen zusammen; der junge Mann ließ sie hastig los. »Tut mir leid, ich hab die Beherrschung verloren.«
»Ich verstehe schon, Vorschrift ist Vorschrift.«
Damit zog sie sich mit schlotternden Knien eilig zur nächsten Bank zurück. Emily wagte sich allein auf die Eisbahn und kam ganz gut zurecht. Am Abend versuchte Michael mit ihr zu reden. »Herrgott noch mal, Jane, warum reagierst du immer gleich so gereizt? Eines Tages bringt dich so ein Kerl noch um.«
»Es tut mir ja leid, Michael, aber der Mensch hat mich so wütend gemacht.«
»Alles in Ordnung?«
»Was?« Jane kämpfte sich aus den Nebeln der Erinnerung empor und sah Michaels Gesicht vor sich. »Ich habe gerade noch einmal durchgespielt, was damals an der Eisbahn passiert ist.«
»Und fällt dir noch mehr ein?«
Sie schüttelte den Kopf, überlegte flüchtig, was für ein Tag war, wie viele Tage vergangen waren, seit ihr die Erinnerung an den Zwischenfall auf der Eisbahn wiedergekommen war.
»Ich muß jetzt in die Klinik. Paula ist unten, wenn du sie brauchst.«
»Wie spät ist es?«
»Fast acht.«
»Morgens?«
Er küßte sie auf die Stirn. »Morgens.«
»Wenn du doch hierbleiben könntest«, sagte sie und verachtete sich wegen des
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