Lauf, Jane, Lauf!
Lebensphilosophie?« fragte Carole im Näherkommen ätzend. »Leg sie einfach auf den Rücksitz.«
Peinlich berührt wandte Jane sich ab. Sie fühlte sich irgendwie schuldig, aber sie wußte nicht, weshalb. Sie sah zu, wie Andrew den Kofferraum öffnete und sein Gepäck hineinlegte.
»Können wir nicht wenigstens ein paar Minuten in normalem Ton miteinander reden?« Daniels Stimme war ruhiger als Caroles, wenn auch nicht weniger zornig.
Jane war nicht erpicht darauf, in einen Streit hineingezogen zu werden. Vielleicht war dies der rechte Moment zum Rückzug. Vielleicht konnte sie wirklich ein bißchen Ruhe gebrauchen, ehe Michael kam. »Es ist wahrscheinlich besser, ich gehe jetzt...«
»Aber du wirst dich doch von einem kleinen Ehekrach nicht abschrecken lassen?« Caroles Ton war herausfordernd.
»Ich bin immer noch ein bißchen schlapp...«
»Natürlich! Du hast ja auch soviel durchgemacht.« In Caroles Stimme schwang ein häßlicher Unterton, den Jane nie zuvor gehört hatte. Es war, als greife ihre Wut auf Daniel auf alles und jeden in der Nähe über. »Es war wirklich aufmerksam von dir, dich extra vom Krankenlager zu erheben, um guten Tag zu sagen. Du hast wahrscheinlich die ganze Woche am Schlafzimmerfenster gelauert und darauf gewartet, daß Daniel aufkreuzt.«
»Jane kam gerade nach Hause, als ich nach draußen ging«, bemerkte Daniel.
»Na, so ein Zufall! Aber du hast ja schon immer ein Talent dafür gehabt, alles so einzurichten, daß es dir in den Kram paßt, stimmt’s?«
Jane war nicht sicher, ob die Bemerkung an sie oder an Daniel gerichtet war.
»Carole, muß das sein?«
»Oh, ich fange erst an. Wart nur ab.«
»Klingt verlockend, aber ich muß jetzt unseren Sohn ins Ferienlager fahren.«
»Wie angenehm, wenn man immer einen guten Grund zum Abhauen hat.«
»Carole, ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber tröste dich, gleich bin ich weg, und dann siehst du mich frühestens im Herbst wieder.«
»Hauptsache, mein monatlicher Scheck kommt pünktlich.«
Daniel seufzte resigniert. Jane ahnte den inneren Widerstreit - sollte er reagieren, alles auf sich beruhen lassen, zurückschlagen oder darüber hinweggehen? Er wollte gerade etwas sagen, als Andrew ihn rief. »Komm schon, Dad. Fahren wir endlich.«
»Die Stimme der Vernunft«, bemerkte Daniel und wandte sich Jane zu. »Gib gut auf dich acht.«
»Mein Gott, nun gib ihr schon einen Kuß. Vor mir brauchst du keine Hemmungen zu haben«, zischte Carole. Sie drängte sich an ihnen vorbei, um ihren sich windenden Sohn noch einmal fest in die Arme zu nehmen.
»Ruf mich an, wenn du - etwas brauchst«, sagte Daniel.
»Danke. Vielleicht tue ich das.«
»Ganz bestimmt wird sie das tun«, warf Carole ein. »Jane ist in letzter Zeit ja so bedürftig, nicht wahr, Jane?«
»Komm schon, Dad!«
»Schöne Ferien, Andrew!« rief Jane dem Jungen zu, der sichtlich ungeduldig war. »Fahr vorsichtig«, fügte sie zu Daniel gewandt hinzu.
Daniel nickte und setzte sich ans Steuer. Jane sah dem Wagen nach, der aus der Einfahrt auf die Straße hinausfuhr. Daniel winkte ein letztes Mal, dann schoß das Auto davon. Selbst als es außer Sicht war, hätte Jane sich am liebsten nicht umgedreht. Caroles feindseliger Blick brannte ihr förmlich Löcher in den Rücken.
»Was ist denn eigentlich los?« fragte sie, nachdem sie schließlich doch den Mut gefunden hatte, sich der Frau zuzuwenden, die sie bisher für ihre Freundin gehalten hatte.
Carole lachte bitter. »Du scheinst mich für eine komplette Idiotin zu halten.«
»Wieso? Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.«
»Stimmt ja, du hast ja alles vergessen! Wie praktisch.«
»Bitte, kannst du mir nicht sagen, wieso du plötzlich so wütend auf mich bist?«
»Welchen Grund sollte ich haben, wütend auf dich zu sein?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ach, sieh mal an, du weißt es nicht.«
»Nein. Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, habe ich von Wut nichts gemerkt. Ich dachte, wir wären Freundinnen.«
»Ist das nicht komisch? Genau das dachte ich auch.«
»Ja, aber was ist denn inzwischen passiert? Hat es dich geärgert, daß ich mit Daniel gesprochen habe?«
»Warum sollte mich das ärgern?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht fühlst du dich verraten.««
»Verraten! Hey, das ist eine interessante Wortwahl, findest du nicht?«
»Carole, ich verstehe gar nichts. Bitte hör endlich auf, in Rätseln zu sprechen.«
»Ach, du magst Rätsel nicht? Komisch. Ich dachte immer, Leute, die gern
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