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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
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gesehen. Abgesehen vom Quitteria-Hügel verlief der Weg heute den ganzen Tag fast eben, erst jetzt, am Schluss, wird ein Hügel erklommen, auf dem die Kirche von Miramont-Sensacq steht, überragt von einem großen Wasserturm. Ein Blick ins Kirchenbuch zeigt:
    Gerhard aus Slowenien war am 7. Juli auch hier, Karin, die mir wie immer zwei Tage voraus ist, auch.
    Im Gite neben der Mairie werde ich herzlich empfangen von Gabrielle, die hier ehrenamtlich Dienst macht. Außerdem ist noch Marie da, eine französische Pilgerin, die eine Woche vor mir in Le Puy gestartet ist und die gleichen Probleme mit den Beinen hat wie ich sie hatte und deshalb zurzeit kleine Etappen macht. Wir tauschen Erfahrungen aus, erzählen von Erlebnissen auf dem Weg und lassen den Tag ruhig ausklingen in einem Aufenthaltsraum, dessen Wände geschmückt sind mit vielen Bildern von wichtigen Stationen des gesamten Jakobsweges. Solchen, die ich schon erlebt habe und solchen, die ich noch sehen werde, so Gott will.
     

Donnerstag, 12. Juli
    Wieder wache ich um sieben Uhr auf, gut ausgeruht. Gabrielle, die Betreuerin des Gite, hat schon ein reichhaltiges Frühstück gemacht, das Marie und ich zusammen genießen. Marie bricht um halb neun auf, ich eine Viertelstunde später. Es ist herrlicher Sonnenschein. Zunächst geht es über kleine Teersträßchen, dann aber durch den Wald und teilweise ist es so matschig, dass die Stiefel sich mit Lehm vollhängen.
    Angeblich sollen es nur achteinhalb Kilometer nach Pimbo sein (der Ort heißt wirklich so, auch wenn es witzig klingt), aber die Sache zieht sich hin, obwohl ich eigentlich zügig laufe. Jedenfalls dauert es drei Stunden, bis ich endlich das Städtchen, einstmals Benediktinerabtei und ab dem 13. Jahrhundert Bastide, also befestigte Stadt, erreiche. Am Portal der mächtigen Kirche bleibt mein Blick hängen, die Bögen schmücken tellerartige Sterne und Spiralen. Neben der Kirche ist aus einem alten Mühlstein ein Tisch gemacht, an dem ich mich für eine Rast niederlasse. Über eine Stunde bleibe ich, erfreue mich derweil am Blick ins Tal und am Fußballspiel der fünf Dorfjugendlichen beiderlei Geschlechts, schaue mir dann natürlich auch die romanische Kirche von innen an. Es geht weiter, vorbei an einem Bauernhof, der Pilger zum Verweilen einlädt - leider habe ich gerade Pause gemacht - und über kleine Teerstraßen zwischen Feldern nach Boncue.
     
    Dort lädt mich ein Mann zu einer Kaffeepause ein. Ich, ein bisschen müde, sage nicht nein. Der Mann hat es nicht leicht. Seine Frau schwer zuckerkrank, die Mitglieder seiner Familie gestorben. Er tröstet sich mit Wein, während ich den angebotenen Kaffee trinke. Im Ganzen macht er einen jammervollen Eindruck, eine Stimmung tiefer seelischer Not ist um ihn. Er zeigt mir einige Briefe und viele Karten von Pilgern, die sich bei ihm für die Bewirtung bedanken. Er bittet mich um ein Gebet am Grab des Apostels Jakobus für seine Frau und ihn, was ich gerne Zusage. Dann fragt er mich, worum es mir bei der Pilgerreise geht. Als ich ihm erzähle, dass es mir darum geht, nach der Trennung neuen Lebensmut und neue Entscheidungen zu gewinnen, holt er eine Weihwasserflasche und segnet mich. Ich verspreche ihm, in Santiago an ihn zu denken, schreibe seine Adresse auf und verabschiede mich.

    Als ich mich gerade auf den Weg mache, kommt ein französischer Pilger vorbei, der Freunde in Deutschland hat. Wir unterhalten uns auf Deutsch. Er ist aus Marseille, unterwegs nach Santiago und vielleicht weiter bis Fatima. Den Weg in Spanien scheint er schon zu kennen, denn er gibt sachkundige Tipps. Als wir uns am Rande von Arzacq-Arraziguet trennen und verabschieden, hoffe ich, ihn nochmals wiederzusehen. Er scheint ein interessanter Mensch zu sein. Er heißt Bernard. Ich will erst einmal einkaufen und dann weiter nach Uzan, wo es den nächsten Gite gibt, er bleibt hier in der Herberge, denn er ist heute schon in Aire sur Adour aufgebrochen.
    Hinter Arzacq wird es schwierig, erst stört ein Bagger das Weiterkommen, dann spüre ich eine aufgeriebene Stelle am Fuß. Stiefel und Socken sind trotz Goretex schweißnass, es ist mittlerweile recht heiß geworden. Ich wechsle die Socken, lege sicherheitshalber ein kleines Schutzpflaster auf und laufe weiter. Nur langsam komme ich voran, erstmals seit Tagen geht es wieder häufiger auf und ab. In Louvigny wird klar, dass ich Uzan, wo ich im Gite übernachten wollte, nicht mehr erreiche. Also denke ich an eine Zeltnacht. Da die

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