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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
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Gegend aber wenig danach ausschaut, bin ich gespannt, was kommen wird.
    Ich bitte meinen Schutzengel, zum rechten Zeitpunkt einen geeigneten Platz zu beschaffen. Der Chemin St. Jacques führt den Berg hinauf, einen Höhenweg entlang. Rechts und links Zäune und Einfriedungen, kein bisschen Freiraum, um ein Zelt aufzubauen. Als der Weg vor Fichous-Riumayou wieder ins Tal zurückwill, zweigt links davon, weg von der Pilgerstrecke GR 65, ein Feldweg ab, der zu einem Wäldchen hinaufführt, höchstens 100 Meter entfernt. Intuitiv folge ich dieser Abzweigung. Was taucht auf? Eine Picknickbank und ein Grasfleck, gerade so groß, dass ich mein Zelt für diese Nacht aufbauen kann. Es ist halb acht, hier werde ich heute bleiben. So sitze ich bequem, esse, trinke den gestern gekauften Wein und schreibe Notizen, bis die Sonne gegen halb zehn untergeht. Nebenan, auf der Weide gegenüber dem Wäldchen, grast eine Herde weißer Rinder. Sonst ist praktisch nichts zu hören, nur irgendwo in der Ferne eine Straße, die wohl wenig befahren ist. Als es dämmrig wird, baue ich mein Zelt auf.
     
    Was mich heute innerlich immer wieder beschäftigt hat, ist die Frage der Trennung und mein Akzeptieren. Ins Buch des ersten kleinen Kirchleins auf dem Weg, der romanischen Kirche von Sensacq, habe ich geschrieben: „Warum fällt es so schwer, das Unvermeidliche zu akzeptieren? Ich brauche dazu Hilfe und ich bin offen dafür, sie auf dem Weg zu finden.“ Plötzlich, irgendwann am Tag, fällt dann eine Entscheidung. Sie ist innerlich ganz still gereift und mit einem Schlag da: Ich werde meinen Ring ganz ablegen. Vor einem Jahr habe ich einen sehr langen Brief an Edith geschrieben und mich darin mit den vielen positiven Seiten und dem allmählichen Misslingen unserer Ehe auseinandergesetzt.
    Es war ein sehr ehrlicher Brief ohne Vorwürfe, der in langen Stunden über mehrere Tage hinweg entstanden ist. Aber er war auch noch voller Beschwörung, dass es doch noch einen Weg zueinander gäbe. Als ich diesen Brief losschickte, habe ich meinen Ehering abgelegt als Zeichen, dass ich die bisherige Ehe als gescheitert betrachte, aber dafür den Verlobungsring wieder angesteckt, um auszudrücken, dass ich an einen Neubeginn miteinander glaube und daran festhalten will.
    Heute, am Abend dieses Tages, habe ich nun auch den Verlobungsring abgelegt. Das ist mein Versuch, die Situation, wie sie ist, wirklich anzunehmen. Es ist immer noch schwer für mich, ich weiß noch nicht, ob ich es wirklich so will und kann und es kostet mich Kraft. Aber ich möchte durch dieses äußere Zeichen ausdrücken, dass ich auf dem Weg des Loslassens bin. Eins ist sicher: Ich werde auf dem Weg weiter an dieser Thematik arbeiten.
     

Freitag, 13. Juli
    Ich erwache kurz vor sieben. Noch ist der Morgen kühl. Als ich durch den schütteren Eichenwald sehe, geht die Sonne gerade auf. Ich mache mich zügig fertig und frühstücke an der Picknickbank. Vom Weg aus kann ich klar und eindrucksvoll die Pyrenäenkette erkennen. Der Weg führt ins Tal hinab, gleich wieder hinauf und erreicht Fichous-Riumayou. Ein Blick, ein kurzes Verweilen dort. Dann geht es auf der Ortsverbindungsstraße nach Lareule mit den Resten einer alten Benediktinerabtei. Das Querschiff und Teile des Chors der einst wohl sehr stattlichen Kirche stehen noch und sind heute Pfarrkirche. Ich ziehe weiter. Vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne, es wird richtig heiß. An Uzan, wo ich gestern eigentlich noch hinwollte, ziehe ich vorbei. Es wäre die reine Illusion gewesen, dass das gestern noch möglich gewesen wäre, drei Stunden bin ich jetzt schon unterwegs. Bis zum Mittag habe ich Gers d’Arzacq erreicht. Eine Rast steht an. Auf einer Picknicksitzgruppe im Schatten, mit Wasser dabei, ruhe ich mich aus, lüfte Socken und Stiefel und lasse die durchgeschwitzten Sachen trocknen.
     
    Während ich sitze und esse, kommen zwei Pilger, Alfred aus Bamberg und Carola aus Niedersachsen. Er war mit seiner Frau schon Teilnehmer einer meiner Kum-Nye-Kurse und sein Sohn war mit meiner Tochter in der gleichen Jahrgangsstufe im selben Gymnasium. Er ist von daheim losgelaufen und will auch nach Santiago, allerdings auf der Küstenroute. Die beiden folgen mir schon seit Tagen, haben immer wieder meine Einträge in die Kirchenbücher gelesen. Ich laufe bei ihnen unter dem Stichwort „der philosophische Gerhard.“. Ich freue mich sehr, sie getroffen zu haben. An diesem Tag werden wir uns noch dreimal begegnen. Nach und nach

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