Laufend loslassen
„Ich bin zwar auch dafür offen, dass Menschen in anderen Religionen Wahrheit finden, aber das Christentum als der Weg, wo sich Gott gezeigt hat und wie er sich in Christus gezeigt hat, ist für mich doch einmalig.“ Er spricht über den evangelischen Theologen Karl Barth, nach dessen Überzeugung alle anderen Religionen Irrwege sind, die nicht zu Gott führen können, grenzt sich aber dann von dessen Ansicht ab. Lebhaft geht unser Gespräch weiter. Ich erinnere an die Position des 2. Vatikanischen Konzils, das in seiner Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen ausgesprochen hat, dass von der katholischen Kirche „alle jene Vorschriften und Lehren aufrichtig ernst genommen (werden), die, wenngleich sie von dem, was sie selber für wahr hält und lehrt, in vielem abweichen, doch nicht selten einen Strahl der Wahrheit widerspiegeln, die alle Menschen erleuchtet.“. Wir erläutern einander unser Gottesbild, sprechen darüber, inwieweit das Heil des Menschen von seinem rechten Streben oder allein von Gott abhängt. Die Frage hat nicht nur akademische Bedeutung, denn in ihrem Hintergrund schwingt auch die Frage mit: Was kann eine Pilgerreise im Tiefsten bewirken? Dennis zitiert aus dem Römerbrief: „Denn es spricht der Herr zu Mose: ,Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig.’ Also liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Dem eigenen tätigen Anteil so gar keine Wirkung zuzuschreiben, widerspricht meiner Überzeugung. Wir einigen uns darauf, dass durch das Gehen des Jakobswegs Gottes Erbarmen nicht herbeigezwungen werden kann, es jedoch dabei hilft, offen für die Wahrnehmung Gottes und damit für sein Wirken in uns zu werden. Wir diskutieren in einer Weise, die Respekt und Achtung vor der Überzeugung des anderen deutlich werden lässt. Hier gibt es eine Ebene, auf der wir uns auch bei unterschiedlichen Akzenten der Glaubensüberzeugungen näherkommen. Verena steigt mehr und mehr aus dem Gespräch aus. Als wir sie deswegen fragen, meint sie: „Ich höre euch gerne zu, es ist interessant, was ihr da diskutiert.“ Hinter Obanos verlassen wir das Thema. Nach unseren „geistigen Höhenflügen.“ kehren wir zurück in die Niederungen des alltäglichen Pilgerdaseins.
Als wir Puente la Reina erreichen, ist die Herberge im Priesterseminar Padres Reparadores leider schon voll. So ziehen wir durch die Stadt ans andere Ende, sehen dabei auch die Brücke aus dem 11. Jahrhundert, die dem Städtchen den Namen gegeben hat, und kommen in die private Herberge Santiago Apostol. Wir waschen alle drei unsere Kleider, dann nutzen wir zusammen den noch recht kühlen Swimmingpool. Über die alte Pilgerbrücke kehren wir erfrischt in die Stadt zurück. Die Suche nach etwas Essbarem zu erschwinglichen Preisen gestaltet sich schwierig, bis wir schließlich in einer Bar, die Pizza anbietet, fündig werden. Anschließend merken wir, dass es nichts mehr an Lebensmitteln zu kaufen gibt, und morgen ist Sonntag. Verena wirkt ziemlich geschafft, beherrscht sich aber gut. Wir vertrauen darauf, morgen etwas zu finden oder in der Herberge etwas für morgen mitnehmen zu können.
Als es dämmrig wird, kehren wir in die Albergue, die etwas außerhalb der Stadt im Westen liegt, zurück. Verena notiert stolz, dass wir heute fast 28 Kilometer gelaufen sind. Ich nutze den großen, hellen Aufenthaltsraum noch für Notizen, während die anderen Pilger schon schlafen.
Als ich dabei auf den Tag zurückblicke, scheint es mir, dass wir drei Pilger in unserer Unterschiedlichkeit einander sehr anregen, dass wir tiefe, persönliche Gespräche führen und langsam zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. Für mich ist das nach der langen Pilger-Eremiten-Zeit eine sehr schöne Erfahrung.
Sonntag, 22. Juli
Heute stehen wir erst um 6.30 Uhr auf und lassen uns Zeit. Das Frühstück ist ärmlich für seinen Preis, der Hospitalero an der Bar unfreundlich. Es ist eine kommerzielle Herberge. Viertel nach acht haben wir alles gepackt und starten und haben nochmals einen Blick auf Puente la Reina. Noch ist es kühl, der Weg führt im Wesentlichen an der Nationalstraße entlang, manchmal näher, manchmal ferner. Der weiße Staub des Weges pudert die Stiefel ein. In Cirauqui, nach etwa zwei Stunden, findet sich endlich ein Laden, wo wir einkaufen für eine spätere Rast. Dort treffen wir auch auf Laura.
Die Autobahn schmälert die landschaftliche Schönheit des weiteren Weges, aber an
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