Laufend loslassen
sich ist es eine abwechslungsreiche Landschaft. Beim Weitergehen erzähle ich Zen-Geschichten, so auch die: Zwei Mönche sind auf einer Pilgerreise unterwegs. Sie stoßen auf einen reißenden Fluss, der von den Regenfällen der letzten Tage stark angeschwollen ist. Dort stehen am Ufer zwei Frauen, die auch unterwegs sind, aber es nicht wagen, den gefährlichen Fluss zu durchqueren. Da nehmen die Mönche die Frauen auf ihre Schultern und tragen sie hinüber. Am anderen Ufer setzen sie sie ab und gehen weiter. Nach einer halben Stunde fragt einer der Mönche den anderen: „War es recht, dass wir die Frauen über den Fluss getragen haben, wo wir doch keine Frauen berühren dürfen?.“ Da antwortet ihm der andere Mönch: „Trägst du deine Frau immer noch?! Ich habe die meine am anderen Ufer abgesetzt.“
Irgendwann hinter Cirauqui überqueren wir den Río Salado, in dem nach alter Überlieferung das Wasser so giftig war, dass jedes Pferd sofort tot umfiel, wenn es davon trank. Es wird wärmer und wärmer. Wir machen Rast im Schatten niedriger Bäume. In Villatuerta wollen wir die Kirche anschauen, aber sie ist, wie viele vorher, geschlossen. Es enttäuscht mich und auch meine Begleiter, dass es praktisch nicht die Möglichkeit gibt, sich in den kleinen Kirchen einen Moment der Stille und des Verweilens zu gönnen.
Ich kenne es von Frankreich her und habe diese Zeiten der Besinnung immer gerne genutzt.
Wir ziehen weiter und stoßen kurz vor dem Rio Ega auf ein weiteres Pilgergrab, das einer Kanadierin, die hier 2002 gestorben ist. Die letzten paar Kilometer nach Estella sind schwer, vor allem wegen der drückenden Schwüle und des Schweinestallgestanks, der sich kurz vor dem Stadtrand widerlich in die Nase zieht. Ein Gedenkstein an einem Brunnen trägt die Inschrift: „Buen pan, excelente agua y vino, carne y pescado, llena de todo felicidad.“ So lobte schon Aimeric Picaud in seinem Pilgerführer im 12. Jahrhundert diese Stadt. Ich bin müde und Dennis und Verena noch mehr geschafft. Endlich erreichen wir gegen halb drei die Herberge in einer engen, schönen Straße der Altstadt. Nach dem üblichen Ritual trifft sich Verena mit einer Freundin, die in Spanien lebt. Dennis und ich machen einen Streifzug durch die Stadt und sehen, dass gerade ein Mittelalterfest mit vielen Attraktionen heute seinen letzten Tag hat. Bis es sich allerdings richtig entfaltet, ist es schon Abend. Zu dritt ziehen wir noch los, kaufen ein und kochen Nudeln, zusammen mit Valerie und Julien, den beiden Quebec-Kanadiern, die ich schon von Aroue her kenne und die auch nach Santiago wollen. Gegen Abend zieht unser Dreigestirn noch einmal los, um die Pilgermesse zu suchen. Erst in der dritten Kirche werden wir fündig. Der Gottesdienst ist dann leider schon zur Hälfte vorbei. Mit uns haben zwei österreichische Zwillingsschwestern, fast in meinem Alter, nach der Abendmesse gesucht. Auch sie sind Pilgerinnen, aber so adrett gekleidet, dass man es ihnen kaum glauben möchte.
Durch das Treiben des Mittelaltermarktes mit seinen Marktständen, Dudelsackgruppen und Baderkarren bahnen wir unseren Weg zurück zur Albergue, wo schon bald Nachtruhe angesagt ist. Wir haben uns vorgenommen, morgen bald zu starten.
Montag, 23. Juli
Um halb sechs wird es lebendig im Schlafsaal. Ich wache ausgeruht auf, auch wenn es nachts recht warm war. Das Frühstück, das wir Pilger an einer langen Tafel zusammen einnehmen, ist preiswert und gut. Kurz vor sieben setzen wir uns in Bewegung. Alle Stände des Mittelalterfestes sind abgeräumt, als wenn nie etwas gewesen wäre, außer ein paar Pilgern ist niemand zu sehen. Schnell sind wir aus der Stadt draußen und sehen schon das Kloster Irache und die daneben befindliche Weinkellerei mit ihrem Weinbrunnen vor uns. Als wir um halb acht am Weinbrunnen ankommen, erleben wir eine Enttäuschung. Den kostenlosen Wein für Pilger gibt es erst ab acht Uhr. Später erfahren wir von Valerie und Julien, dass er auch noch nach acht Uhr keinen Tropfen von sich gegeben hat. Nachdem auch das Kloster noch geschlossen ist, ziehen wir weiter. Seit dem Morgen ist der Himmel bewölkt, jetzt fängt es leicht zu regnen an. Aber es ist noch so warm, dass ich im T-Shirt weiterlaufe. Die ganze Strecke lang ist der fast 900 Meter hohe Berg von Monjardín in Sicht, dazu die Bergzüge im Westen und Norden. Der Weg führt vorbei an einem alten Brunnen aus dem 13. Jahrhundert, wo man unter einem Dach auf einer breiten Treppe zum Wasser
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