Laufend loslassen
erholt auf. Wir frühstücken, umsorgt von den Schwestern der Klosterherberge. Dann starten wir durch die noch stillen Straßen der Stadt. Durch den Park um die Zitadelle herum führt der Camino aus der Stadt hinaus.
Gestern hatten wir drei Pilger eine schöne Gemeinschaft, aber noch kennen wir uns kaum. Ich möchte die beiden näher kennenlernen und auch meine Gedanken und Lebenserfahrungen mit ihnen teilen. Ich möchte lernen, mich zu öffnen. Vor allem Letzteres habe ich mir für die Begegnungen auf dem Camino vorgenommen, erste Anfänge waren in den Gesprächen am Weg, vor allem mit Alfred, schon geschehen. Ich weiß, dass es mir normalerweise nicht leichtfällt, Dinge, die mir innerlich wichtig sind, vor anderen auszubreiten. Selbst bei vertrauten Menschen halte ich den sensiblen Bereich meiner inneren Burg verschlossen. Ich weiß, dass auch Edith oft hat darunter leiden müssen.
So frage ich meine beiden Mitpilger: „Gibt es Bücher, von denen ihr sagen würdet, dass sie euch geprägt haben? Für mich gibt es da einige ganz wichtige.“ Ich spreche „Narziss und Goldmund.“ an, ein Buch, das ich mit knapp 24 Jahren gelesen habe und das mich in dieser Zeit tief berührt hat. Zwei Jahre lang habe ich damals dann ein Hesse-Buch nach dem anderen gelesen. „Siddharta.“, „Demian.“, den „Steppenwolf 1 , „Klingsors letzter Sommer.“, das „Glasperlenspiel.“ und andere. Es war die Zeit nach dem frühen Tod meiner Mutter, der mich damals sehr aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Es war eine Zeit des mich Findens und neuer Werte.
Vor allem Siddharta mit seiner entschlossenen und konsequenten Suche nach sich selbst und dem Sinn seines Lebens, der sogar bei der Begegnung mit Buddha nicht bleibt, sondern seine Suche selbst fortsetzt, wurde mir zu einer Art Vorbild. Davor, am Beginn meines Studiums, war es Thomas Manns „Zauberberg.“ gewesen, der mich mit der Welt des Geistigen vertraut gemacht hat, mit Sinnsuche und Lebenshunger. Noch früher, im Gymnasium, war es Franz Kafka, der meine Auseinandersetzung forderte. Einen langen Aufsatz habe ich über ihn geschrieben, dessen Thema mir noch heute gegenwärtig ist: „Kafka stellt seine Figuren in einen irrealen Raum. Warum wirken sie dennoch so beklemmend echt?.“ Auch ein Satz aus der Türhüterparabel in „Der Prozess.“, den der Türhüter dem wartenden, lange kämpfenden, hoffenden und am Ende seines Lebens letztlich resignierenden Mann vor dem Tor sagt, hat sich tief in mein Bewusstsein eingegraben. Den zitiere ich für meine Weggefährten: „Dieser Eingang war nur für dich bestimmt, ich gehe jetzt und schließe ihn.“ Was ich in diesem Augenblick blitzartig erkenne: Auch ich habe Jahre meines Lebens wartend und hoffend vor Türen zugebracht, bei denen es notwendig gewesen wäre, mit einem mutigen Schritt hindurchzugehen. Aber ich konnte es nicht. „Es genügt nicht, nur von einem Ort fortgehen zu wollen. Du musst zu einem anderen hinstreben. Du musst dich von deinen Wünschen führen lassen.“, sagt der Löwe Graograman dem Bastian in Michael Endes „Die unendliche Geschichte.“. Auch ein sehr wichtiges Kapitel in diesem wundervollen Buch für mich, da war ich 34 Jahre alt. „Und was ist jetzt mein wahrer Wunsch in meinem Leben?.“, frage ich mich in meinem Inneren.
Dennis spricht Bücher an, die ihn in den letzten Jahren beeindruckt haben. „Owen Meany.“ von John Irving nennt er, diese Geschichte von zwei Jungen, in den Fünfzigern geboren, in der es letztlich um die Verrücktheit des Vietnamkrieges geht.
Was er dabei interessant fand, waren die Anspielungen und Parallelen zu Christus, die Irving bei seinem Owen anklingen lässt. Auch Milan Kunderas „Die unendliche Leichtigkeit des Seins.“, diese Beschreibung eines Arztes, der sich auf eine Liebesbeziehung nicht wirklich einlässt, ihr aber doch auch alles opfert, hat ihn beschäftigt.
Er nennt Isabel Allendes „Das Geisterhaus.“. Dieses Familiendrama habe auch ich mit viel Anteilnahme gelesen. Ein Buch, das er erwähnt, macht mich besonders neugierig. Es ist Thomas Manns „Der Erwählte.“, ein Buch über die Gregoriussage, von dem ich noch nichts gehört habe.
Nach über zwei Stunden, im Angesicht der Ruinen des Grafenpalastes von Guendulain, machen wir Rast. Dann führt der Weg weiter und wir setzen unser Gespräch über Literatur und prägende Bücher fort. Verena spricht Jostein Gaarders „Das Kartengeheimnis.“ an, dessen ungewöhnliche Perspektive des
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