Laufend loslassen
unterhalten uns angeregt. Verena erzählt ein wenig von ihrer Arbeit im Hort, Dennis von der Examensvorbereitung und von seinem Studienjahr in Prag. Ich erzähle von Orten in Spanien, wo ich schon war, über das Herumstromern mit dem Wohnwagen, über meine Tätigkeit als Gästeführer. Ich erzähle den beiden auch, dass es mir sehr wichtig ist, den Jakobsweg zu gehen. Gegen elf, wir nähern uns schon Trinidad de Arre, kommt die Sonne ein bisschen stärker hervor. Gleich beginnt es warm zu werden. Aber noch kann von Hitze nicht die Rede sein.
Wir singen zusammen einen irischen Reisesegen:
„Möge die Straße uns zusammenführen
und der Wind in deinem Rücken sein,
sanft falle Regen auf deine Felder,
warm auf dein Gesicht der Sonnenschein.
Und bis wir uns wiedersehen
halte Gott dich fest in seiner Hand. „
Irgendwann kreuzen wir die Hauptstraße, machen an einem Rastplatz halt. Hier findet Verena ein kleines rotes Taizé-Kreuz auf dem Boden. Ich habe mein blaues, das ich von zu Hause mitgebracht hatte und an dessen Halsband auch noch das Medaillon der schwarzen Madonna von Le Puy hing, in der Herberge von St. Jean Pied de Port beim Waschen liegen gelassen. Gestern Morgen, als ich den Verlust bemerkte, fand ich das sehr bedauerlich, stammte es doch noch aus der Zeit, wo wir zum ersten Mal mit der Familie in Taizé gewesen waren. Aber ich scheine auf diesem Weg das Loslassen auf allen Ebenen üben zu müssen.
Erst kurz vor Pamplona finden wir endlich ein Café.
Pamplona ist eine schöne Stadt und der Weg führt fast direkt ins Zentrum zur Herberge Madres Adoratrices.
Wir bekommen zusammen ein Viererzimmer. Später entdecken wir gemeinsam die Altstadt, die Plaza de Toros mit dem Hemingway-Denkmal, die Plaza del Castillo und die winkligen Gassen um die Plaza Consistorial mit ihren vielen baskischen Fahnen. Ein Streifzug führt uns zur Kathedrale, wo wir den wunderbaren gotischen Kreuzgang bestaunen, einen der schönsten Spaniens, wie man sagt, und die Kathedrale selbst mit den klar strukturierten Glasfenstern und Rosetten, die, da es Sonnenschein gibt, ihr buntes Licht auf den Boden werfen. Bemerkenswert ist auch das Diözesanmuseum mit Madonnen aus vielen Jahrhunderten, beginnend mit der Romanik. Bei der Betrachtung dieser religiösen Kunst wird deutlich, wie wunderbar sich Dennis’ theologisches Wissen und meine Kenntnisse in Kunstgeschichte, die ich mir als Gästeführer in Bamberg angeeignet habe, ergänzen. Und auch Verenas genaue Beobachtungsgabe lässt uns dreien den Rundgang zu einer echten Bereicherung werden.
Anschließend schauen wir uns noch die weitläufigen Anlagen der Zitadelle an, deren Ausmaße uns beeindrucken.
Am frühen Abend gehen wir dann zum Essen in die Stadt und finden alle Bars geschlossen, bis wir schließlich bei einer Dönerbar fündig werden — nicht gerade original spanisch, aber doch sättigend, und das ist nach der Anstrengung des Tages das Wichtigste. Um 21 Uhr finden wir uns, wie es die Hausregel verlangt, in der Unterkunft ein.
Ich habe das Gefühl, einen guten Tag mit ein wenig echter Urlaubsstimmung erlebt zu haben. Ich werfe noch einen Blick auf die Eintrittskartenabschnitte, die wir an der Kathedrale bekommen haben. Wir hatten nach Pilgerermäßigung gefragt. „Schaut mal, das ist ja eine Familienkarte gewesen, Eltern und Kinder.“ Ich zeige sie meinen Mitpilgern.
„Ja, Papa, da musst du uns jetzt eine Gutenachtgeschichte erzählen, bitte, bitte.“, betteln Verena und Dennis im Spaß. Ich erzähle eine, die ich von meinen Erwachsenenbildungsseminaren her kenne und die ich an einer Kirche im Lot-Tal noch einmal gelesen habe.
„Am Ende des Lebens gibt Gott einem Menschen noch einmal die Gelegenheit, auf den eigenen Lebensweg zurückzuschauen. Der Mensch staunt. Fast überall sieht er neben seiner eigenen noch eine zweite Spur von Fußabdrücken. ,Wer war dieser zweite?’, fragt der Mensch Gott. ,Das war ich’, antwortet dieser, ,ich war immer an deiner Seite.’ Der Mensch schaut noch genauer auf seine Lebensspur. ,Wie kommt es dann, dass ausgerechnet in den schwierigsten Phasen meines Lebens nur eine Spur zu sehen ist?’, meint er traurig. .Warum hast du mich da verlassen?’ Da legt Gott ihm seinen Arm um die Schulter und sagt sanft: ,1m Gegenteil, auf diesen Strecken deines Lebens war ich dir am nächsten und habe dich auf meinen Händen getragen.’.“
Samstag, 21. Juli
Wieder wird es kurz vor sechs in der Herberge lebendig. Ich wache gut
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